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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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stehen und blickte zurück zu mir, der ich keuchend nach Atem rang.
    Für die Dauer eines Lidschlags, zu kurz, um Gefahr zu laufen, eines Vergehens beschuldigt zu werden, doch eindeutig in voller Absicht, schaute er mich an. Woher kannte ich ihn? Er schaute mich an, auf der Schwelle zu diesem absolut anderwärtigen Bereich, und um seine Lippen spielte ein kleines, triumphierendes Lächeln. Er schickte sich an, weiterzugehen, dorthin, wohin keiner aus Ul Qoma ihm folgen konnte.
    Ich hob die Pistole und erschoss ihn.
 
    Die Kugel traf ihn in die Brust. Ich sah sein Erstaunen, als er fiel. Schreie von allen Seiten, erst, weil geschossen worden war, dann wegen des Toten und dem Blut und fast sofort von allen Umstehenden, die es gesehen hatten, wegen des noch unverzeihlicheren Verbrechens.
    »Ahndung.«
    »Ahndung.«
    Ich dachte, es wäre der schockierte Ruf der Augenzeugen nach der rächenden Macht, doch undeutliche, Autorität ausstrahlende Gestalten erschienen in dem Durcheinander der Niemande, der Ratlosen und Verwirrten, und diese unversehens aus dem Nichts aufgetauchten Neuankömmlinge mit Gesichtern, die ich in ihrer maskenhaften Starre kaum als Gesichter wahrnahm, skandierten das Wort. Es war die Konstatierung ihrer Identität und indirekt des Verbrechens, welches sie auf den Plan gerufen hatte.
    »Ahndung.« Eins der steingesichtigen Individuen packte mich mit einem Griff, aus dem ich mich unter Auferbietung all meiner Kräfte nicht hätte befreien können. Ich erhaschte einen Blick auf dunkle Silhouetten, über den Leichnam des Mörders gebeugt. Eine Stimme dicht an meinem Ohr. »Ahndung.« Eine unsichtbare Kraft transportierte mich fort vom Ort des Geschehens, schnell, schnell vorbei an Kerzen in Besźel und Neon in Ul Qoma, in Richtungen, die in keiner der beiden Städte irgendwohin führten.
    »Ahndung«, und etwas berührte mich und ich versank, dieses Wort im Ohr, in tiefe Dunkelheit, jenseits von Wachen und Wissen.

III
 

GRENZBRUCH

23. Kapitel
 
    Das Dunkel war nicht leer. Das Dunkel war nicht lautlos. Es gab Wesenheiten darin, die mir Fragen stellten, Fragen, die ich nicht beantworten konnte, wichtige Fragen, doch ich wusste nichts darauf zu sagen. Diese Stimmen wiederholten immer und immer wieder Grenzbruch. Was mich berührt hatte, sandte mich nicht in form- und geräuschlose Stille, sondern in eine Traumarena, in der ich das gehetzte Wild war.
 
    Die Erinnerung daran kehrte später wieder. In dem Moment, als ich zu mir kam, hatte ich kein Gefühl von vergangener Zeit. Ich schloss die Augen in einer deckungsgleichen Straße der Altstädte, schlug sie auf und schnappte nach Luft und befand mich in einem geschlossenen Raum.
    Grau, spartanisch. Ein kleines Zimmer. Ich lag in, nein, auf einem Bett. Ich lag auf der Bettdecke in Kleidern, die mir fremd waren. Ich setzte mich auf die Bettkante.
    Grauer, abgetretener Linoleumboden, ein Fenster, in dessen Lichtbahn ich saß, hohe, graue Wände, fleckig und von Rissen durchzogen. Ein Tisch, zwei Stühle. Wie ein schäbiges Büro. An der Decke eine dunkle Halbkugel aus Glas. Kein Geräusch. Absolute Totenstille.
    Ich stand auf, nicht annähernd so benommen, wie ich gedacht hatte. Die Tür war abgeschlossen. Das Fenster befand sich im oberen Drittel der Mauer, sodass ich nicht hinausschauen konnte. Ich sprang hoch, was mir ein leichtes Schwindelgefühl verursachte, sah aber nur ein Stück Himmel. Die Kleidungsstücke, die ich anhatte, waren sauber und erschreckend nichtssagend. Die Größe stimmte. Dann erinnerte ich mich, was in der Dunkelheit bei mir gewesen war, und das Herz schlug mir bis zum Hals und mein Atem ging schneller. Das Fehlen jeglicher Geräusche zerrte an den Nerven.
    Ich zog mich am Rand der Fensternische in die Höhe. Meine Arme zitterten. Ohne eine Stütze für die Füße konnte ich mich nicht lange so halten. Unter mir eine buntgescheckte Dächerlandschaft, Satellitenschüsseln, Antennenwald, Zwiebelhelme, Wendeltürme, Gasgondelwarten, die Rückseiten von, so sah es aus, Wasserspeiern. Weder wusste ich, wo ich war, noch was womöglich hinter der Scheibe lauerte, mich von außen beobachtete.
    »Setzen Sie sich.«
    Vor Schreck ließ ich los und fiel, fiel hin, weil meine Beine einknickten. Benommen stand ich auf und drehte mich um.
    Jemand stand in der Tür. Das Licht im Rücken, erschien mir die Person wie aus Dunkelheit herausgestanzt, eine menschengestaltige Leere. Beim Nähertreten war es ein Mann, vielleicht fünfzehn, zwanzig Jahre

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