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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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gebracht. Brot, Fleisch, Obst, Käse, Wasser. Nachdem ich mich gestärkt hatte, drückte und zog ich an der Tür, aber sie gab nicht nach. Ich tastete über den Lack, aber es war nur rissiger Lack oder seine Botschaften waren so raffiniert verschlüsselt, dass ich den Code nicht zu knacken vermochte.
    Yorjavic war nicht der erste Mensch, den ich getötet hatte, aber einer von nur wenigen. Und nie zuvor hatte ich jemanden erschossen, der nicht ebenfalls die Waffe auf mich gerichtet hatte. Ich wartete auf das große Zittern. Mir war beklommen zumute, mein Herz klopfte, meine Hände waren feucht, aber das kam von dem Ort, an dem ich mich befand, nicht von Gewissensbissen.
    Geraume Zeit blieb ich mir selbst überlassen. Ich schritt das Zimmer ab, beobachtete die in der gläsernen Halbkugel verborgene Kamera. Als die Tür sich wieder öffnete, dunkelte es draußen vor dem Fenster. Dasselbe Trio trat ein.
    »Yorjavic«, begann der ältere der beiden Männer, der vorhin schon das Verhör geführt hatte, wieder auf Besź. »In gewisser Weise hat auch er Grenzbruch begangen. Als Sie auf ihn geschossen haben, haben Sie ihn zum Grenzbrecher gemacht. Die Opfer eines Grenzbruchs sind unweigerlich ebenfalls Grenzbrecher. Er hat mit Ul Qoma interagiert, also haben wir ihn überprüft. Er bekam Instruktionen von irgendwoher. Nicht von den Rechten Bürgern. Die Situation ist folgende«, sagte er. »Sie haben Grenzbruch begangen, ergo gehören Sie uns.«
    »Was geschieht jetzt?«
    »Was immer uns angemessen scheint. Wer Grenzbruch begeht, ist uns verfallen.«
    Sie konnten mich ohne weiteres verschwinden lassen. Was das bedeutete, darüber spekulierte man nur hinter vorgehaltener Hand. Niemand kannte jemanden, und sei es vom Hörensagen, der von Ahndung ergriffen worden war und - ja, was? - seine Strafe abgesessen hatte? Die Betroffenen mussten einzigartig verschwiegen sein, oder es war nie jemand freigelassen worden.
    »Auch wenn Sie die Gerechtigkeit unseres Vorgehens nicht einsehen können, bedeutet das nicht, dass es ungerecht ist, Borlú. Betrachten Sie dies, wenn Sie wollen, als Ihren Prozess.
    Schildern Sie uns, was Sie getan haben und Ihre Beweggründe, und darauf basierend entscheiden wir, wie es mit Ihnen weitergeht. Wir haben einen Grenzbruch zu untersuchen. Weitere Ermittlungen können angeordnet werden, wir erhalten Dispens, mit den unbeteiligten Zeugen eines Grenzbruchs zu sprechen, sofern deren Aussage relevant erscheint und wir es belegen können. Begreifen Sie? Es gibt schwere und weniger schwere Sanktionen. Auch über Sie existiert ein Dossier. Sie sind Polizeibeamter.«
    Und das bedeutet was? Sind wir deshalb Kollegen? Ich behielt meine Gedanken für mich.
    »Warum haben Sie das getan? Klären Sie uns auf. Erzählen Sie uns von Yolanda Rodriguez, und erzählen Sie uns von Mahalia Geary.«
    Ich sagte nichts, wusste nichts zu sagen, hatte keinen Plan. »Sie wissen davon? Was wissen Sie?«
    »Borlú.«
    »Was ist da draußen?« Ich zeigte auf die Tür. Die drei hatten sie nicht ganz geschlossen.
    »Sie wissen, wo Sie sind«, antwortete er. »Was da draußen ist, werden Sie beizeiten sehen. Unter welchen Bedingungen, das hängt davon ab, was Sie jetzt sagen und tun. Erklären Sie uns, was Sie hierhergebracht hat. Diese absurde Geschichte, die zum ersten Mal seit langer Zeit wieder dem Vergessen entstiegen ist, in das sie gehört. Borlú, erzählen Sie uns von Orciny.«
 
    Die sepiafarbene Helligkeit, die durch den Türspalt sickerte, war das einzige Licht, das auf mich fiel, ein schmaler Keil, der meine Besucher im Schatten ließ. Ich redete stundenlang. Ich verschwieg nichts, änderte nichts, weil ich mir sagte, dass sie ohnehin bereits alles wussten.
    »Was hat Sie bewogen, Grenzbruch zu begehen?«, fragte der Mann.
    »Ich hatte nicht die Absicht. Ich wollte sehen, wohin der Schütze flieht.«
    »Schon das war ein Akt von Grenzbruch. Er war in Besźel.«
    »Ja, aber Sie wissen, wie das ist. Sie wissen, das passiert ständig. Als er grinste, der Blick, mit dem er mich ansah ... ich musste an Mahalia denken und an Yolanda ...« Auf meiner Wanderung durchs Zimmer kam ich der Tür immer näher.
    »Wie konnte er wissen, dass Sie, Dhatt und Yolanda in der Kopula sein würden?«
    »Keine Ahnung. Er ist ein Nat und ein Idiot, aber allem Anschein nach hatte er Kontakte.«
    »Und in welcher Weise ist Orciny in diese Angelegenheit involviert?«
    Wir schauten uns an. »Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.« Ich legte die

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