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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Hände an mein Gesicht, schaute über die Fingerspitzen hinweg. Mir kam es vor, als hätten der andere Mann und die Frau an der Tür in ihrer Wachsamkeit nachgelassen. Ich stürmte auf sie zu, wie ich glaubte, ohne Vorwarnung. Einer - ich weiß nicht wer - hebelte mich mitten im Lauf um. Ich segelte durchs Zimmer, prallte gegen die Wand und rutschte daran hinab zu Boden. Jemand schlug mich, die Frau musste es sein, weil ich, als mir der Kopf in den Nacken gerissen wurde, den jüngeren Mann nach wie vor im Türrahmen lehnen sah. Sein Kollege saß am Tisch und wartete.
    Die Frau hockte breitbeinig auf meinem Rücken und hatte mich in einer Art Schwitzkasten. »Borlú, Sie sind im Grenzbruch. Dieses Zimmer ist Ihr Gerichtssaal«, sagte der Mann am Tisch. »Und hier kann auch Ihr Urteil gesprochen werden. Sie befinden sich außerhalb der normalen Gerichtsbarkeit, hier sind wir das Gesetz. Eins noch. Erklären Sie uns, wie dieser Fall, diese Leute, diese Morde mit der Fama von Orciny zusammenhängen.«
    Als ich nichts sagte, fragte er endlich die Frau: »Was tust du da?«
    »Er bekommt Luft. Ich erwürge ihn nicht«, antwortete sie.
    Der erstickte Laut in meiner Kehle war ein Lachen. Ich lachte, so gut es mir in ihrem Griff möglich war.
    »Hier geht es nicht um mich«, brachte ich endlich heraus. »Mein Gott. In Wirklichkeit geht es euch um Orciny.«
    »Es gibt kein Orciny«, sagte der Ältere.
    »So die vorherrschende Meinung. Und trotzdem gibt es diese rätselhaften Vorfälle, gibt es Leute, die verschwinden oder umgebracht werden, und immer dieses Wort, Orciny.« Die Frau stieg von mir herunter. Ich setzte mich hin und schüttelte den Kopf über den Wahnsinn der Welt im Allgemeinen und im Besonderen.
    »Wisst ihr, weshalb sie nie zu euch gekommen ist?«, fragte ich. »Yolanda? Sie hat gedacht, ihr seid Orciny. Hättet ihr gesagt: Wie kann es einen Ort geben zwischen der Stadt und der Stadt?, hätte sie geantwortet: Ach ja? Und wo existiert Ahndung? Aber sie war im Irrtum, oder nicht? Ihr seid nicht Orciny.«
    »Es gibt kein Orciny.«
    »Weshalb dann die vielen Fragen? Von was habe ich mich in den letzten Tagen verfolgt gefühlt? Ich war Zeuge, wie Orciny oder etwas, das der Vorstellung von Orciny sehr nahe kommt, meinen Partner niedergeschossen hat. Ihr wisst, dass ich Grenzbruch begangen habe, andere Verbrechen interessieren euch nicht. Warum bestraft ihr mich nicht einfach und fertig?«
    »Wie gesagt ...«
    »Wie bitte, das soll eine Gnade sein? Gerechtigkeit? Wollt ihr mich für dumm verkaufen?
    Falls es außer euch noch etwas anderes gibt zwischen Besźel und Ul Qoma, was heißt das für euch? Ihr seid auf der Jagd. Weil es plötzlich wieder da ist. Ihr wisst nicht, wo Orciny ist oder was die Vorgänge der letzten Zeit zu bedeuten haben. Ihr habt ...« Zum Teufel mit diplomatischer Vorsicht. »Ihr habt Angst.«
 
    Der zweite Mann und die Frau gingen weg, und als sie wiederkamen, schleppten sie einen alten Filmprojektor an, der ein langes Kabel hinter sich herzog, das irgendwo im Flur verschwand. Sie machten sich an dem Gerät zu schaffen, und es summte. Über die Zimmerwand flimmerten bewegte Bilder. Szenen eines Verhörs. Ich rutschte auf dem Boden ein Stück weiter nach hinten, um besser sehen zu können.
    Der Verhörte war Bowden. Nach anfänglichem Rauschen und Knistern hörte ich ihn sprechen, Illit, und sah, die Fragesteller waren Militsya.
    »... weiß nicht, was passiert ist. Ja, ja, ich bin untergetaucht, weil jemand hinter mir her war. Jemand versuchte, mich umzubringen. Als ich dann erfuhr, dass Borlú und Dhatt über die Grenze wollten, dachte ich, sie könnten mich mitnehmen, auch wenn ich ihnen nicht hundertprozentig traute.«
    »... haben eine Waffe?« Der Fragende klang undeutlich.
    »Weil jemand mich umbringen wollte, deshalb. Ja, ich hatte eine Pistole. Die kriegt man in Ul Qoma Ost an fast jeder Straßenecke, wie Sie genau wissen. Denken Sie daran, ich lebe schon ein paar Jahre hier.«
    Murmel, murmel.
    »Nein.«
    »Warum nicht?« Das klang deutlicher.
    »Weil es so etwas wie Orciny nicht gibt«, sagte Bowden.
    Murmel, murmel. »Meinetwegen. Allerdings ist mir scheißegal, was Sie glauben oder was Mahalia geglaubt hat oder Yolanda oder was Dhatt sagt und nein, ich habe keinen Schimmer, wer der Anrufer war. Aber es gibt kein Orciny.«
    Das laute Knacken einer verschlissenen Bild-/Tonspur, und da war Aikam. Er weinte und weinte. Fragen wurden gestellt, prallten ab an seinem Kummer, gingen unter

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