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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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- türkische Art. Ein Fehler. Ich wurde noch kribbeliger.
    Kein Wunder, dass es mir an einem Tag wie diesem schwerer fiel als sonst, Grenzen zu beachten, auf dem Nachhauseweg nur zu sehen oder zu nichtsehen, was ich sollte. Ich war umgeben von Menschen, die sich nicht in meiner Stadt befanden, spazierte durch belebte Viertel, aber nicht belebt in Besźel. Ich konzentrierte mich auf die Bauten, die wirklich um mich waren, mit denen ich aufgewachsen war - Kirchen, Bars, die Backsteinornamente einer ehemaligen Schule. Den Rest ignorierte ich oder versuchte ihn zu ignorieren.
    Abends wählte ich die Nummer von Sariska, der Historikerin. Sex wäre schön gewesen, aber manchmal hatte sie Spaß daran, über Fälle zu sprechen, an denen ich arbeitete, und sie war klug. Zwei Mal wählte ich ihre Nummer, und beide Male legte ich auf, bevor sie abheben konnte. Ich wollte sie nicht in diese Sache hineinziehen. Ein als Diskussion über eine Hypothese getarnter Verstoß gegen die Schweigepflicht bei laufenden Ermittlungen war eine Sache. Sie zur Mitwisserin bei Grenzbruch zu machen, eine andere.
    Immer wieder landete ich bei dem Mist/Mist/Mist. Zu guter Letzt ging ich in Begleitung von zwei Flaschen Wein nach Hause und schickte mich an, ihnen mit Bedacht und eingebettet in eine Häppchen-Mahlzeit aus Oliven, Käse und Wurst den Garaus zu machen. Ich bekritzelte viel Papier mit nutzlosen Gedankensplittern, Überlegungen wucherten in Form arkaner Diagramme, als könnte ich auf grafischem Weg des Rätsels Lösung finden. Die Lage der Dinge war folgende: Es bestand die Möglichkeit, allerdings sehr entfernt, dass ich das Opfer eines sinnlosen und umständlichen Streichs geworden war. Meine innere Stimme sagte mir, dass der Mann am Telefon nicht Theater gespielt hatte. Ich war geneigt, ihr zu glauben.
    Und wenn das so war, hatte man mir einen Tipp de luxe gegeben, vertrauliche Informationen über Fulana-Marya. Man hatte mir gesagt, wohin ich gehen sollte und wo nachforschen, um mehr zu erfahren. Was mein Job war. Doch wenn herauskam, dass ich auf Grund dieser Informationen Verhaftungen vorgenommen hatte, waren alle im Zusammenhang damit ergangenen Urteile hinfällig. Ärgerlich, aber das geringste Übel. Schwerer wog, dass es schlimmer als ungesetzlich war, von diesen Informationen Gebrauch zu machen, und nicht allein nach der Gesetzgebung Besźels - ich machte mich des Grenzbruchs schuldig.
    Mein Informant hätte die Plakate nicht sehen dürfen. Sie waren nicht in seinem Land. Er hätte mir nie erzählen dürfen, dass er sie gesehen hatte. Er machte mich zu seinem Komplizen bei einer schweren Straftat. Das Wissen darum wirkte in Besźel wie ein Allergen - allein die Tatsache des Vorhandenseins der Informationen in meinem Kopf war eine Art Trauma. Ich war mitschuldig. Ich war erledigt. (Mir fiel nicht ein, vielleicht wegen der inzwischen weitgehend geleerten zwei Flaschen Wein, dass er die Plakate nicht hätte erwähnen brauchen, dass er folglich gute Gründe gehabt haben musste, mich ins Vertrauen zu ziehen.)
 
    Selbstverständlich würde ich es nicht tun, aber wer hätte sich an meiner Stelle nicht zumindest versucht gefühlt, die Aufzeichnungen des kompromittierenden Telefonats zu verbrennen oder durch den Reißwolf zu jagen? Selbstverständlich würde ich es nicht tun, aber ...
    Ich saß bis spät in der Nacht an meinem Küchentisch, hatte die Zettel vor mir liegen, und ab und zu malte ich gedankenverloren Mist/Mist/Mist überkreuz auf freie Stellen. Ich legte Musik auf: Little Miss Train, eine Gemeinschaftsproduktion, Van Morrison im Duett mit Coirsa Yakov, die Umm Kalsoum Besźels, wie sie genannt wurde, aufgenommen bei seiner Tour 1987. Ich trank noch ein Glas und legte das Bild von Marya-Fulana, Unbekannte Ausländische Grenzbrecherin, neben die Zettel.
    Niemand kannte sie. Vielleicht, Gott helfe uns, war sie doch nicht richtig in Besźel gewesen, obwohl Pocost als einheitliches Areal galt. Die Jugendlichen, die die Tote gefunden hatten, die gesamte Ermittlung -alles konnte auf Grenzbruch hinauslaufen. In dieser Richtung weiter zu ermitteln bedeutete, früher oder später in Schwierigkeiten zu geraten. Es war klüger, die Ermittlungen wie die Tote in Frieden ruhen zu lassen. In einer Anwandlung von Eskapismus gaukelte ich mir einen Moment lang vor, dass ich klug sein würde. Ha! Am Ende würde ich meine Arbeit tun, auch wenn ich dadurch gezwungen war, gegen einen Kodex zu verstoßen, eine Übereinkunft von existenzieller
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