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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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unsere Fulana, und solange wir noch etwas Luft haben, sollten wir in dieser Richtung Nachforschungen anstellen. Ich denke mir - Moment, ich muss grade in meinen Notizen nachschauen ... Okay, warum nicht bei den Unifs anfangen.
    Reden Sie mit der Abteilung für Spinner. Versuchen Sie, Namen von denen zu kriegen, Adressen von Ortsverbänden - ich kenne mich da nicht so gut aus. Fragen Sie nach Shenvois Büro. Sagen Sie ihm, Sie müssten für mich etwas ausbaldowern. Reden Sie mit allen Leuten, die Sie auftreiben können, zeigen Sie das Foto, achten Sie auf jedes Zucken. Ich muss Ihnen nicht sagen, dass sie kein überschwängliches Entgegenkommen erwarten dürfen, man lässt sich dort nicht gern in die Karten schauen. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Sie erreichen mich auf dem Handy. Wie gesagt, ich komme nicht ins Büro. Okay, wir hören voneinander. Okay, ciao.«
    »Das war furchtbar.« Ich glaube, auch das habe ich laut gesagt.
    Als Nächstes rief ich Taskin Cerush in unserer Verwaltungsabteilung an, erreichte zu dieser Stunde selbstverständlich nur ihren Anrufbeantworter. Ich hatte mir vorausschauend ihre Durchwahlnummer gemerkt, als sie mir vor drei oder vier Fällen geholfen hatte, einen Weg durch den Dschungel der Bürokratie zu finden. Ich hatte mir angelegen sein lassen, den Kontakt zu pflegen. Sie war ausgezeichnet in ihrem Job.
    »Taskin, hier ist Tyador Borlú. Würden Sie mich bitte auf meinem Handy anrufen, morgen oder wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, und mir erklären, was ich tun müsste, wenn ich dem Kontrollausschuss einen Fall vorlegen möchte? Wenn ich einen Fall hätte, bei dem möglicherweise Grenzbruch eine Rolle spielt? Theoretisch, selbstverständlich.« Ich lachte verlegen. »Behalten Sie das für sich, ja? Danke, Task. Lassen Sie mich wissen, welche Schritte ich unternehmen müsste, und vielleicht verfügen Sie noch über etwas hilfreiches Insiderwissen, von dem ich profitieren kann. Danke.«
    Was mein beunruhigender Informant mir hatte mitteilen wollen, war relativ klar. Die Satzteile, die ich mitgeschrieben und unterstrichen hatte:
    dieselbe Sprache
    erkenne Autorität nicht an
    hüben wie drüben
    Daraus ging hervor, weshalb er mich angerufen hatte, weshalb ihn die Straftat, die er damit beging, nicht schreckte, weshalb das, was er beobachtet hatte oder dass er es beobachtet hatte, für ihn kein Anlass war -wie für die meisten anderen -, es den drei weisen Affen gleichzutun. Die Angst trieb ihn um, Angst vor dem, was Marya-Fulanas Tod für ihn persönlich bedeutete. Was er mir zu verstehen gegeben hatte, war, dass seine Mitverschwörer in Besźel Marya gesehen haben mochten, dass sie keine Grenzen respektierte. Und falls irgendeine Gruppe von Unruhestiftern in Besźel an diesem speziellen Verbrechen und Tabubruch beteiligt war, waren es mein Informant und seine Gesinnungsgenossen. Offensichtlich handelte es sich bei ihnen um Unifikationisten.
 
    Sariskas Spöttelei im Ohr, wandte ich mich wieder der nächtlichen Stadt zu, diesmal mit offenen Augen auch für ihre Nachbarin. Grenzbruch, aber ich scherte mich nicht drum. Wer riskierte nicht ab und zu einen Blick? Da waren an Metallgerüsten verankerte Gasgondelwarten, die ich nicht hätte sehen dürfen, darunter baumelten Reklametafeln. Auf der Straße war wenigstens einer der Passanten nicht in Besźel - ich erkannte es an der Kleidung, den Farben, dem Gang -, und dennoch schaute ich ihn an.
    Als Nächstes richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das Gleis wenige Meter vor meinem Fenster und wartete auf den Spätzug, von dem ich wusste, er würde demnächst kommen. Ich schaute in die vorüberfliegenden, erleuchteten Fenster und in die Augen der wenigen Insassen. Von diesen wenigen erwiderten nur wenige meinen Blick und sahen mich ihrerseits und waren erschrocken. Aber sie waren schnell vorbei, der Zug trug sie über die Dächer dahin: Es war ein kurzes Verbrechen und nicht von ihnen verschuldet. Das schlechte Gewissen würde sie nicht lange quälen. Wahrscheinlich erinnerten sie sich nicht an den Blick »von der anderen Seite«. Ich hatte immer schon dort leben wollen, wo ich Züge von anderswo beobachten konnte.

5. Kapitel
 
    In den Ohren von jemandem, der nicht viel darüber weiß, klingen Illit und Besź grundverschieden. Jede der beiden Sprachen hat ihr eigenes Alphabet. Besź wird in Besź geschrieben: vierunddreißig Buchstaben, von links nach rechts, alle Laute klar und phonetisch dargestellt, Vokale und Semivokale dekoriert
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