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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt
Autoren: China Miéville
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Menge Material, das man in anderen Sammlungen nicht findet.«
    »Wir sollten uns das ansehen, Chef«, wandte Corwi sich wieder an mich. »Uns vergewissern, dass nichts Illegales dabei ist.«
    »Verdammt noch mal, ich kooperiere, oder nicht? Ihr wollt mich wegen verbotener Schriften drankriegen? Hier gibt es nichts der Klasse eins, und was wir an Klasse zwei haben, kann jeder Idiot aus dem Internet runterladen.«
    »Schon gut, schon gut.« Ich winkte ihm, fortzufahren.
    »Wir haben viele Gespräche geführt. Sie war nicht lange hier, ein paar Wochen vielleicht. Fragt mich nicht, wo sie sonst noch gewesen ist oder was sie getan hat, weil ich es nicht weiß. Ich kann nur sagen, dass sie jeden Tag herkam, oft zu unmöglichen Zeiten, und in den Büchern schmökerte oder sich mit mir über Geschichte unterhielt, die Geschichte der Städte, über Gott und die Welt, über unsere Kampagnen und so weiter.«
    »Kampagnen?«
    »Unsere Brüder und Schwestern im Gefängnis. Hier und in Ul Qoma. Einzig und allein wegen ihrer Überzeugungen. Amnesty International ist da übrigens auf unserer Seite. Mit Kontakten reden. Bildungsaufgaben. Neuen Einwanderern zur Seite stehen. Demos.« In Besźel waren Demonstrationen kleine, aggressive, gefährliche Veranstaltungen. Unweigerlich rückten die ortsansässigen Nationalisten an, um den Aufmarsch zu stören, beschimpften die Teilnehmer als Verräter, und generell brachte auch der unpolitische Normalbürger ihnen wenig Sympathie entgegen. In Ul Qoma war die Stimmung ähnlich, drum schob man dort dem ganzen Ärger prophylaktisch einen Riegel vor und erteilte ihnen Versammlungsverbot. Für die Genossen vermutlich ein Quell des Unmuts, auch wenn der qomanische Zweig dadurch von Prügeln verschont blieb.
    »Wie hat sie ausgesehen? Hat sie sich gut gekleidet? Wie war sie?«
    »Ja, sie war gut gekleidet. Schick, versteht ihr? Ungewöhnlich für diese Gegend.« Er musste über sich selbst lachen. »Und sie war klug. Anfangs mochte ich sie gut leiden, wisst ihr? Ich war wirklich begeistert. Zuerst.«
    Seine Pausen waren Aufforderungen an uns, ihn zum Weitersprechen zu drängen, damit er sich jeder Verantwortung enthoben fühlen konnte. »Aber?«, fragte ich. »Was ist passiert?«
    »Wir hatten Streit. Wir haben gestritten, weil sie es nicht lassen konnte, den Genossen auf die Füße zu treten. Ich gehe in die Bibliothek oder nach unten oder was weiß ich, und wieder steht einer von uns da und schreit sie an. Sie wurde nie laut. Sie redete ruhig und vernünftig und trieb ihre Kontrahenten zur Weißglut. Zu guter Letzt blieb mir nichts anderes übrig, als ihr Hausverbot zu erteilen. Sie war - sie war gefährlich.« Wieder Schweigen. Corwi und ich tauschten einen Blick. »Nein, ich übertreibe nicht«, verteidigte er sich. »Sie ist der Grund, dass ich euch auf dem Hals habe, oder etwa nicht? Sage ich doch, sie war gefährlich.«
    Er nahm die Fotografie und studierte sie. Mitleid, Ärger, Abneigung, Angst malten sich nacheinander auf seinem Gesicht. Angst auf jeden Fall. Er stand auf, lief um seinen Tisch herum - lächerlich, weil viel zu wenig Platz zum nervösen Kreisen, aber er versuchte es.
    »Seht mal, das Problem war ...« Er trat an sein kleines Fenster und schaute hinaus, drehte sich wieder um. Wir sahen ihn als Silhouette vor der Skyline von Besźel oder Ul Qoma oder beiden, ich konnte es nicht erkennen.
    »Sie stellte dauernd Fragen über einige der verrücktesten Geschichten, die im Untergrund kursieren. Ammenmärchen, Gerüchte, Hirngespinste, Aberglauben. Ich habe mir nichts dabei gedacht, weil wir eine Menge von dem Stuss zu hören kriegen, und sie war offensichtlich cleverer als die Armen im Geiste, die so was für bare Münze nehmen. Deshalb glaubte ich, ihr ginge es nur darum, möglichst viele und verschiedenartige Informationen zu sammeln.«
    »Waren Sie nicht neugierig?«
    »Klar. Eine junge Ausländerin, klug, geheimnisvoll? Intensiv?« Er verspottete sich selbst mit dem Tonfall, in dem er das sagte. Er nickte. »Selbstverständlich war ich neugierig. Alle Leute, die hierherkommen, machen mich neugierig. Ein paar von ihnen tischen dir haarsträubenden Blödsinn auf, andere nicht. Aber ich wäre nicht der Vorsitzende dieser Loge, wenn ich die Leute ausquetschen würde. Bei uns gibt es eine Frau, ziemlich viel älter als ich ... Ich treffe mich mit ihr, mal häufiger, dann wieder länger nicht, seit fünfzehn Jahren. Trotzdem kenne ich weder ihren richtigen Namen, noch weiß ich sonst
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