Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
steckte ihre Nase in gefährliche Dinge, ich hatte kein gutes Gefühl dabei.«
    »Aber das ist nicht alles, oder?«, hakte ich nach. »Was noch?«
    Er starrte mich an. »Ich weiß es nicht, Mann. Sie bedeutete Ärger, sie war Furcht einflößend, da war zu viel ... da war irgendetwas faul. Wenn sie redete und redete, von dem ganzen Zeug, mit dem sie sich beschäftigte, kriegte man eine Gänsehaut. Man wurde nervös.« Er schaute wieder aus dem Fenster. Er schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir leid, dass sie sterben musste«, sagte er. »Es tut mir leid, dass sie ermordet wurde. Aber wirklich überrascht bin ich nicht.«
 
    Diese Witterung von Unausgesprochenem und Geheimnis - egal wie abgebrüht oder gleichgültig man zu sein glaubte, es schlug einen in Bann. Als wir gingen, sah ich, dass Corwi den Kopf hob und den Blick über die schäbigen Straßenfronten der Lagerhallen wandern ließ. Möglicherweise schaute sie eine Winzigkeit zu lange in die Richtung eines Ladens, von dem sie wissen musste, dass er zu Ul Qoma gehörte. Sie fühlte sich beobachtet. Wir beide fühlten uns beobachtet, und wir wurden beobachtet, und es machte uns nervös.
    Anschließend lud ich Corwi zum Essen ein und fuhr mit ihr in Besźels kleine Ul Qomatown, südlich des Parks. Eine Provokation, zugegeben, aber nicht an ihre Adresse gerichtet, sondern an die Adresse des Universums allgemein. Wegen der speziellen Farben und den Schrifttypen von Geschäfts- und Wirtshausnamen, der Fassadengestaltung, glaubten Besucher Besźels, dass sie auf Ul Qoma schauten, und wandten hastig und ostentativ den Blick ab (ein gutwilliger, doch naturgemäß unzulänglicher Versuch zu nichtsehen). Wer schärfere Augen hatte und etwas Erfahrung, bemerkte den bemühten Kitsch an den Gebäuden, eine platte Selbstparodie. Man sieht die Faschen in Besźel-Blau, eine Farbe, die in Ul Qoma verboten ist. Das ganze Viertel ist hiesig.
    Diese wenigen Straßen - mit Zwitternamen, illitische Substantive und ein Suffix in Besź, YulSainStrász, LiliginStrász und so weiter - bildeten das Zentrum der kulturellen Welt für die kleine Gemeinschaft in Besźel ansässiger Qomani. Es hatte sie aus verschiedenen Gründen hierherverschlagen - politische Verfolgung, der Wunsch nach Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse (und wie bitter die Patriarchen, die aus diesem Grund das anstrengende Prozedere der Einwanderung auf sich genommen hatten, diesen Schritt heute bereuen mussten), Launen, Herzensdinge. Die meisten der unter Vierzigjährigen leben in der zweiten oder heute dritten Generation hier, sprechen zu Hause Illit und draußen akzentfreies Besź. Vielleicht erkennt man an ihrer Kleidung einen Ul-Qoma-Einfluss. Immer wieder einmal werfen die hiesigen Schläger oder üblere Elemente ihnen die Fenster ein oder verprügeln sie auf offener Straße.
    Hierher kommen heimwehkranke Qomani für ihre Pasteten, ihre in brauner Zuckerbutter geschwenkten Erbsen, ihre Spezereien. Die Gerüche in Besźels Ul Qomatown sind verwirrend. Die instinktive Reaktion geht dahin, sie zu nichtriechen, zu vermuten, dass sie über die Grenze hereintreiben, respektlos wie Regen. (»Rauch und Regen wohnen in beiden Städten«, sagt das Sprichwort. In Ul Qoma kennt man die gleiche Wendung, nur ist eins der Subjekte »Nebel«. Gelegentlich hört man es auch von anderen Wetterverhältnissen oder sogar, Müll, Abwasser und, aus dem Mund der Mutigen, von Tauben oder Wölfen.)
    Ab und zu kann man erleben, dass ein junger Qomani aus einem anderen Stadtteil, also ortsunkundig, sich einem Besź-Qomani nähert, um nach dem Weg zu fragen, weil er ihn für einen Landsmann hält. Der Irrtum ist schnell entdeckt - kaum etwas ist erschreckender, als demonstrativ nicht gesehen zu werden -, und Ahndung lässt gemeinhin Milde walten.
    »Chef.« Corwi und ich saßen in einem Eck-Café, Con ul Cai, das ich regelmäßig frequentierte. Ich hatte den Inhaber jovial mit Vornamen begrüßt, wie es zweifellos die meisten seiner Gäste taten. Wahrscheinlich verachtete er mich. »Was zum Teufel wollen wir hier?«
    »Kommen Sie«, sagte ich. »Ul-Qoma-Küche. Kommen Sie. Geben Sie's zu, Ihnen läuft das Wasser im Mund zusammen.« Ich bot ihr Linseneintopf mit Zimt an, starken süßen Tee. Sie lehnte ab. »Wir sind hier«, setzte ich ihr auseinander, »wegen des Ul-Qoma-Ambientes. Ich hoffe, die Atmosphäre wirkt befruchtend auf meinen Intellekt. Sie haben selbst genug Grips, Corwi, ich erzähle Ihnen nichts Neues. Sie können mir

Weitere Kostenlose Bücher