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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wir besitzen alle Arten von ...« Er ließ den Satz unvollendet. »Ich erkannte, dass sie nicht an uns interessiert war.«
    Wie alle Dissidenten waren sie neurotische Archivare. Ob man ihrer Geschichtsdarstellung zustimmend gegenüberstand oder ablehnend, ob gleichgültig oder leidenschaftlich interessiert, man konnte ihnen nicht vorwerfen, sie hätten ihre Thesen nicht mit Fußnoten und Recherche untermauert. Ihre Bibliothek umfasste garantiert eine komplette Sammlung all dessen, was auch nur den kleinsten Hinweis auf eine Durchlässigkeit der städtischen Grenzen enthielt. Fulana-Marya-Byela hatte nicht nach Belegen für eine Ur-Einheit gesucht, sondern für die Existenz von Orciny. Welcher gekränkte Unmut, als man begriff, dass ihre geschichtlichen Kuriositäten geltende Wissbegier kein Abstecher vom Weg ernsthafter Forschung war, sondern das eigentliche Ziel eben dieser. Als man begriff, dass sie sich für Unifikationismus herzlich wenig interessierte.
    »Sie war also reine Zeitverschwendung?«
    »Nein, Mann, sie war gefährlich, wie schon gesagt. Auf Ehre. Sie hätte uns in Schwierigkeiten gebracht. Außerdem stellte sie von Anfang an klar, dass sie quasi nur auf der Durchreise war.« Wieder sein charakteristisches Achselzucken.
    »In welcher Weise war sie gefährlich?« Ich beugte mich vor. »Drodin, war sie eine Grenzbrecherin?«
    »Jesus, ich denke nicht. Falls doch, weiß ich nichts davon, gar nichts.« Er hob die Hände. »Verflucht noch mal, habt ihr eine Ahnung, wie lückenlos wir unter Beobachtung stehen?« Er stieß die Hand in Richtung der Straße. »Eure Firma fährt alle paar Stunden hier Patrouille. Die Bullen in Ul Qoma können uns nicht erreichen, dafür bespitzeln sie unsere Brüder und Schwestern dort. Und als gottverdammte Krönung des Ganzen wacht da draußen ... ihr wisst schon. Ahndung.«
    Daraufhin schwiegen wir alle einen Moment. Wir alle fühlten uns beobachtet.
    »Sie haben es gesehen?«
    »Ich? Ahndung gesehen? Was stellen Sie sich vor? Wer hätte Ahndung je zu Gesicht bekommen? Aber wir wissen, es ist da. Der minimalste Vorwand, und wir sind einkassiert. Haben Sie ...« Er schüttelte den Kopf, und als er mich wieder ansah, war es mit einem Blick voller Zorn, vielleicht sogar Hass. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele meiner Freunde verschwunden sind? Auf Nimmerwiedersehen? Wir sind vorsichtiger als jeder andere.«
    Er hatte recht. Politische Ironie. Die Leute, die hingebungsvoll an der Aufhebung der Grenze zwischen Besźel und Ul Qoma arbeiteten, mussten am peinlichsten darauf achten, sie nicht zu verletzen. Vergaß ich oder einer meiner Freunde in einem Augenblick der Unachtsamkeit zu nichtsehen (und wem passierte das nicht ab und zu? Dass er vergaß zu vergessen zu sehen?), dann hatten wir in aller Regel nichts zu befürchten. Vorausgesetzt, wir gingen diskret damit um und ließen es nicht zur Gewohnheit werden. Gönnte ich mir einen kurzen Blick auf eine attraktive Passantin in Ul Qoma, erfreute ich mich an der vereinten Skyline der beiden Städte, wandte den Kopf beim Geräusch eines nahenden Ul-Qoma-Zugs, brauchte ich nicht fürchten, verhaftet zu werden.
    Hier jedoch, in diesem Gebäude, walteten nicht nur meine Kollegen, sondern der lange Arm von Ahndung mit alttestamentarischer Strenge und Unerbittlichkeit. Ahndung, diese beunruhigende Entität, konnte unversehens auftauchen und einen Unifikationisten schon für einen geträumten Grenzbruch, für ein erschrockenes Zusammenzucken bei der Fehlzündung eines Autos in Ul Qoma festnehmen. Wäre Byela -Fulana - eine Grenzbrecherin gewesen, wäre Ahndung ihr auf dem Fuße gefolgt. Deshalb war es wahrscheinlich nicht das, was Drodin Angst gemacht hatte.
    »Sie hatte etwas an sich.« Er schaute aus dem Fenster auf die beiden Städte. »Vielleicht wäre es so gekommen, ihretwegen hätten wir Ahndung auf dem Hals gehabt, irgendwann. Oder irgendeine andere Scheiße.«
    »Moment mal«, fiel Corwi ihm ins Wort. »Sie haben gesagt, sie hätte von Anfang an zu erkennen gegeben, dass sie nicht bleiben will ...«
    »Sie sagte, sie würde rübergehen. Nach Ul Qoma. Offiziell.« Ich hörte auf, in mein Notizbuch zu schreiben. Ich schaute Corwi an und sie mich. »Hab sie nie wiedergesehen. Jemand hörte, sie wäre rübergegangen und dass man ihr nicht erlauben wollte, nach hier zurückzukehren.« Er zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, ob es stimmt, und wenn es stimmt, weiß ich nicht, warum. Es war nur eine Frage der Zeit ... Sie

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