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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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kreuzte ich mir wohlbekannte Besźel-Straßen mit zumeist entschieden anderem Charakter als ihre qomanischen Topolgänger. Ich nichtsah sie, wusste aber, dass die von Ul Qomas Modrass Street abzweigenden Gassen total Besźel waren und die sich dort herumdrückenden und verstohlen um sich blickenden Männer Kunden der billigsten Prostituierten Besźels. Die hätte ich, falls ich für einen Moment das Nichtsehen vergaß, als miniberockte Phantome in der Dunkelheit Besźels ausmachen können. Wo befanden sich eigentlich die Bordelle Ul Qomas, in reinräumlich welcher Gegend Besźels?
    Einmal, noch am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, gehörte ich zum Polizeiaufgebot, das bei einem Musikfestival für Ruhe und Ordnung sorgen sollte. Das Event fand in einem deckungsgleichen Park statt. Es kam, was kommen musste: Das von Musik be- und von Drogen zugedröhnte Publikum ergab sich dem animalischen Trieb und vögelte lustig in aller Öffentlichkeit. Mein damaliger Partner und ich konnten trotz krampfhaften Bemühens um korrektes Verhalten nicht anders und lachten uns schief über die Qomani, die in ihrer heimischen Version des Parks wie Störche im Salat über die allenthalben poppenden Pärchen hinwegstelzten, die sie geflissentlich nichtsahen.
    Ich dachte daran, ein Stück mit der U-Bahn zu fahren, was für mich ein ganz neues Erlebnis gewesen wäre (es gibt nichts Vergleichbares in Besźel), aber der Spaziergang tat mir gut. Ich testete mein Illit an Gesprächen, die ich mithörte. Ich sah die Trüppchen bummelnder Qomani, die mich wegen meiner Kleidung und meiner Haltung nichtsahen, dann stutzten, meinen Touristenausweis entdeckten und mich zur Kenntnis nahmen. Junge Qomani standen vor Spielsalons, aus denen Lärm und Musik tönten. Ich sah, durfte sehen, Gasgondelwarten, kleine, vertikal ausgerichtete Luftschiffe in einem Stahlgerüst: früher städtische Krähennester, in denen ein Ausguck nach möglichen Angreifern spähte, aber seit vielen Dekaden nur mehr sentimentale Reminiszenz an vergangene Zeiten und neuerdings als Aufhängung für Reklametafeln missbraucht.
    Die Sirene, schnell nicht gehört, eines in Besźel vorbeirasenden Policzai autos. Ich konzentrierte mich stattdessen auf die Reaktion der Einheimischen, die prompt und als geschähe es aus anderen Gründen den Weg freimachten. So etwas war die schlimmste Art von Protub.
    Ich hatte Bol Ye'an auf dem Stadtplan markiert. Vor meiner Abreise nach Ul Qoma hatte ich mit dem Gedanken gespielt, zum Topolgänger des Areals zu fahren, der reinräumlich korrespondierenden Gegend Besźels, um einen versehentlichen Blick auf die nichtsehbare Grabungsstätte zu werfen, aber dann erschien es mir doch zu riskant. Ich machte auch keinen Ausflug zu den Rändern, wo die Ruinen und der Park zaghaft nach Besźel hineinragten. Das Areal dort war wenig beeindruckend, so die ziemlich einhellige Meinung in der Bevölkerung, wie die meisten unserer antiken Stätten; der weitaus größere und interessantere Teil der Reste vergangener Zeiten befand sich auf/in Ul Qomas Grund und Boden.
    Vorbei an einem alten qomanischen Bauwerk, allerdings in europäischem Stil, schaute ich die abschüssige Tyan Ulma Street entlang, hörte gedämpft das Bimmeln einer Straßenbahn, die eine halbe Meile vor mir in Besźel eine Straße kreuzte, und sah auf dem Plateau am Ende des Abhangs das Parkgelände und die Ruinen von Bol Ye'an im Licht des Halbmonds liegen.
    Das gesamte Gebiet war von einem Bretterzaun umschlossen, aber von meinem erhöhten Standort aus hatte ich freie Sicht. Eine baum- und blumenbestandene Landschaft, einige Teile verwildert, andere akkurat gepflegt. Am nördlichen Ende befand sich die Ausgrabung, und was auf den ersten Blick aussah wie Wüstenei, waren die von Buschwerk und Unkraut überwucherten Trümmer eingestürzter Tempel, mit Persenning überspannte Gehwege zwischen fliegenden Bauten und in Fertigbauweise erstellten Verwaltungsgebäuden, in denen teils noch Licht brannte. Der Boden war von den Grabungsarbeiten gezeichnet: Die meisten Gruben waren unter Zelten verborgen und geschützt. Laternen warfen Lichtkreise auf das winterfahle Gras. Einige waren zerbrochen und verströmten nichts als zusätzliche Dunkelheit. Ich sah patrouillierende Gestalten, Sicherheitsleute, die diese versunkenen, nun wieder zutage geförderten Zeugnisse der Vergangenheit bewachten.
    An verschiedenen Stellen drängten die Rückfronten von Häusern, die meisten in Ul Qoma, dicht an Park und Ausgrabung

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