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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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törichter oder kindischer, an eine Verschwörung zu glauben oder nicht?
    »Dasselbe Wetter hier wie zu Hause«, sagte ich. Sie lachte. Dieses Klischee, das wir abgesprochen hatten, bedeutete: nichts zu berichten.
    »Wie geht's weiter?«, erkundigte sie sich.
    »Bol Ye'an.«
    »Wie? Jetzt?«
    »Nein. Leider. Ich wollte heute gleich hin, aber sie haben geschlafen, nichts arrangiert und jetzt ist es zu spät.«
    Nach meiner Ankunft hatte ich zuerst geduscht, etwas gegessen und das triste kleine Zimmer inspiziert. Ob ich ein Lauschgerät erkennen würde, wenn ich es sah? Anschließend hatte ich drei Mal Dhatts Nummer gewählt, bevor er sich beim dritten Mal meldete.
    »Tyador«, hatte er gesagt. »Sorry, haben Sie versucht, mich zu erreichen? Ich war unheimlich beschäftigt, musste hier noch ein paar lose Enden verknüpfen. Was kann ich für Sie tun?«
    »Es wird spät. Ich wollte zu der Ausgrabungsstätte ...«
    »Ach ja, Mist. Hören Sie, Tyador, heute klappt das nicht mehr.«
    »Haben Sie uns nicht angemeldet?«
    »Ich habe den Leuten gesagt, sie könnten wahrscheinlich mit uns rechnen. Inzwischen werden die froh sein, wenn sie nach Hause gehen können, und wir fahren morgen hin, gleich in der Frühe.«
    »Was ist mit Wie-heißt-sie-noch Rodriguez?«
    »Ich bin nach wie vor nicht überzeugt, dass sie wirklich ... nein, das darf ich nicht sagen, richtig? Ich bin nicht überzeugt, dass die Tatsache, dass sie verschwunden ist, Anlass zur Sorge gibt, wie finden Sie das? Doch wenn die junge Dame bis morgen nicht wieder aufgetaucht ist und auch auf ihre E-Mails und anderen Nachrichten nicht geantwortet hat, dann werden wir aktiv, das garantiere ich Ihnen. Dann setzen wir die Vermisstenabteilung auf sie an.«
    »Und nun?«
    »Und nun. Heute Abend schaffe ich es nicht mehr, zu Ihnen rüberzukommen. Können Sie ...? Sie werden sich nicht langweilen, oder? Tut mir leid. Ich stelle Ihnen ein Paket mit Beschäftigungsmaterial zusammen, Kopien unserer Aufzeichnungen und diese Informationen, die Sie haben wollten, über Bol Ye'an und den Unicampus und all das. Haben Sie einen Computer? Können Sie online gehen?«
    »... Ja.« Ein Behörden-Laptop, die Ethernet-Verbindung des Hotels für zehn Dinare pro Nacht.
    »In Ordnung dann. Und ich bin sicher, Sie haben Video-on-demand auf dem Zimmer. Dann fühlen Sie sich nicht einsam.« Er lachte.
 
    Eine Zeitlang suchte ich Ablenkung bei der Lektüre von Zwischen der Stadt und der Stadt, aber bald legte ich das Buch zur Seite. Die Zusammenwürfelung von textlichen und historischen Details und tendenziösen Folglichs wirkte ermüdend. Ich zappte mich durch Ul Qomas Fernsehgrogramme. Mehr Spielfilme als in BesźTV, so schien es mir, und mehr und lautere Gameshows, jeweils einen Zapp oder zwei von Nachrichtensprechern entfernt, die die Erfolge von Präsident Ul Mak und den Maßnahmen der Neuen Reform aufzählten: Besuche in China und der Türkei, Reisen von Handelsdelegationen nach Europa, Lob von einigen in der IMF, Washingtons Schmollen zum Trotz. Qomani waren besessen von der Welt- und ihrer eigenen Wirtschaft. Wer wollte es ihnen verübeln?
    »Warum nicht, Corwi?« Ich griff mir einen Stadtplan und vergewisserte mich, dass alle meine Papiere, Policzai marke, Pass und Visum in meiner inneren Brusttasche verstaut waren. Zu guter Letzt steckte ich mir den Touristenausweis ans Revers und ging hinaus in die Kälte.
    Jetzt bot sich mir das von BesźTV propagierte Neon-Panorama. Wohin ich schaute, überstrahlte grellbuntes Geflimmer in fantastischen Windungen und Knäueln die matten Lichter meiner fernen Heimat. Das schrille Stimmengewirr in Illit. Ul Qoma war nachts eine lebendigere Stadt als Besźel, und jetzt konnte ich das nächtliche Treiben der Gestalten beobachten, die bisher nur nichtsehbare Schemen gewesen waren. Ich konnte die Obdachlosen anschauen, die sich in Seitenstraßen zur Ruhe betteten, die Freiluftschläfer Ul Qomas, die wir in Besźel als Protubs wahrnehmen mussten, um nichtsehend über sie hinwegzusteigen oder ihnen auszuweichen und unseren Weg fortzusetzen.
    Ich überquerte die Wahid-Brücke, links fuhren Züge vorbei. Nachdenklich schaute ich auf den Fluss hinunter, der hier Schach-Ein hieß. Wasser - war es mit sich selbst deckungsgleich? Wäre ich in Besźel, wie diese nicht gesehenen Passanten, strömte der Colinin unter mir dahin. Vom Hilton nach Bol Ye'an war es nicht eben ein Katzensprung, sondern zu Fuß gut und gern eine Stunde auf dem Ban Yi Way. Unterwegs

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