Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
schlimmer als bei Mahalia. Früher soll Mahalia ganz verrückt danach gewesen sein, aber das hat sich mittlerweile gelegt, nehme ich an.«
    Weil sie jünger waren und länger feierten, hatten im Gegensatz zu ihren Lehrern viele der Studenten ein Alibi für die Nacht von Mahalias Tod. Von irgendeinem undefinierbaren Punkt an war Dhatt scheinbar bereit, Yolanda als vermisste Person zu betrachten; seine Fragen wurden präziser, seine Notizen ausführlicher. Die Ausbeute an Informationen war gering. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, wann er Yolanda zuletzt gesehen hatte, nur, dass es ein paar Tage her war.
    »Habt ihr irgendeine Ahnung, was mit Mahalia passiert sein könnte?«, fragte Dhatt jeden einzelnen Studenten. Wir bekamen ein Nein nach dem anderen.
    »Ich halte nichts von Verschwörungstheorien«, verkündete ein junger Mann. »Was Mahalia zugestoßen ist ... schrecklich. Aber dass es da ein großes Geheimnis geben soll ...« Er schüttelte den Kopf. Seufzte. »Mahalia war ... Sie hatte das Talent, sich unbeliebt zu machen, und was passiert ist, ist passiert, weil sie in die falsche Gegend von Ul Qoma gegangen ist, mit der falschen Person.« Dhatt notierte.
    »Nein«, sagte ein Mädchen. »Keiner hat sie wirklich gekannt. Man hat es vielleicht geglaubt, aber irgendwann kam man dahinter, dass sie sich mit allen möglichen geheimen Dingen beschäftigt hat, von denen man nichts wusste. Ich glaube, ich hatte ein wenig Angst vor ihr. Ich mochte sie, ehrlich, aber sie stand irgendwie immer unter Strom. Sie war klug. Vielleicht hat sie sich mit jemandem getroffen. Einem Spinner von hier. Das wäre typisch für sie. Sie hatte den Kopf voll mit allem möglichen wirren Zeug. Ich habe sie immer in der Bibliothek gesehen - wir haben Ausweise für die Universitätsbibliothek -, wie sie diese endlosen Kommentare in ihre Bücher kritzelte.« Sie vollführte krampfhafte Schreibbewegungen und schüttelte den Kopf - eine Aufforderung, uns mit ihr über dieses seltsame Verhalten zu wundern.
    Dhatt hakte nach. »Wirres Zeug?«
    »Na ja, was man so hört.«
    »Sie hat sich jemanden zum Feind gemacht, garantiert.« Diese junge Frau sprach laut und schnell. »Einen von den Spinnern. Habt ihr gehört, was abgegangen ist, als sie das erste Mal in den Städten war, drüben in Besźel? Sie hätte sich um ein Haar geprügelt. Mit, man stelle sich vor, Akademikern und Politikern. Bei einer Archäologen -Konferenz. Das schafft nicht jeder. Kaum zu glauben, dass sie überhaupt weiterstudieren durfte.«
    »Orciny.«
    »Orciny?«, fragte Dhatt.
    »Ja.«
    Dieser letzte Sprecher war ein schmächtiger, blasser Jüngling. Sein nicht ganz sauberes T-Shirt war mit einer - vermutlich - Figur aus einer Fernsehsendung für Kinder bedruckt. Er hieß Robert. Er musterte uns melancholischen Blicks. Er blinzelte verzweifelt. Sein Illit war nicht gut.
    »Stört es Sie, wenn ich mich auf Englisch mit ihm unterhalte?«, fragte ich Dhatt.
    »Nein«, antwortete er. Ein Mann steckte den Kopf zur Tür herein, sein suchender Blick schweifte durch den Raum und richtete sich auf uns. »Machen Sie hier weiter«, sagte Dhatt zu mir. »Ich bin in einer Minute zurück.« Er ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu.
    »Wer war das?«, fragte ich den Jüngling.
    »Dr. Ul Huan«, antwortet er. Der zweite an den Grabungen beteiligte qomanische Wissenschaftler. »Werden Sie den finden, der Mahalia das angetan hat?« Ich hätte ihn mit den üblichen Floskeln abspeisen können, aber er schien sich das Schicksal seiner Kommilitonin aufrichtig zu Herzen zu nehmen. Er starrte mich an und kaute auf der Unterlippe. »Bitte«, sagte er.
    »Was haben Sie gemeint mit ›Orciny‹?«, fragte ich schließlich.
    »Ich« - er zuckte die mageren Schultern - »ich weiß nicht, aber es geht mir dauernd im Kopf herum. Macht einen verrückt. Ich weiß, es ist albern, aber Mahalia war besessen davon, und sie hat Yolanda damit angesteckt - wir haben sie bis zum Gehtnichtmehr damit aufgezogen. Und dann verschwinden sie beide ...« Er senkte den Kopf und bedeckte die Augen mit der Hand, als hätte er nicht die Kraft, die Lider zu schließen. »Ich habe Sie wegen Yolanda angerufen. Als ich sie nicht finden konnte. Keine Ahnung. Man macht sich Gedanken.« Er verstummte.
 
    »Da ist einiges an Material zusammengekommen.« Dhatt führte mich auf den Wegen zwischen den Fertigbaracken zum Tor von Bol Ye'an. Er blätterte in seinem Notizblock, sortierte die Visitenkarten und auf Papierfetzen

Weitere Kostenlose Bücher