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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Studenten, bewaffnet mit Spitzkelle und weichen Pinseln, schauten aus dem ihnen zugeteilten Sektor zu uns auf. Einige von den Jungen und ein Mädchen waren Gothics, in Ul Qoma seltenere Erscheinungen als in Besźel oder bei ihnen zu Hause. Bestimmt hatten sie enormes Aufsehen erregt. Unter dicken Lidstrichen und dem Dreck der Jahrhunderte hervor schenkten sie Dhatt und mir ein freundliches Lächeln.
    »Schauen Sie sich's an.« Die Aufforderung von Isabelle Nancy war unnötig. Wir standen ein paar Meter entfernt von der Grabung. Ich betrachtete die vielen Markierungen im Erdreich der einzelnen Stufen. »Sie begreifen, womit wir hier konfrontiert sind?« Was wir da unten sahen, konnte alles Mögliche sein.
    Sie sprach so leise, dass ihre Studenten, auch wenn sie natürlich merkten, dass wir uns unterhielten, nicht verstehen konnten, über was. »Bis heute haben wir, abgesehen von ein paar Gedichtfragmenten, keinerlei schriftliche Aufzeichnungen aus dem Präkursor-Zeitalter gefunden, die uns helfen könnten, aus all dem klug zu werden. Haben Sie von den Gallimaufrianern gehört? Als die ersten Prä-Szissions-Artefakte aus dem Boden geholt wurden und nachdem ein archäologischer Irrtum ausgeschlossen war«, sie lachte, »erfanden die Leute das Volk der Gallimaufrianer als Erklärung für das, was zum Vorschein kam. Es geisterte ziemlich lange durch die Köpfe und die Literatur. Eine hypothetische Zivilisation vor Ul Qoma, vor Besźel, die systematisch sämtliche Artefakte in der Region ausbuddelte, von Jahrtausende alt bis zum Bric-à-brac der Großmutter, alles durcheinandermischten und wieder in die Erde senkten oder einfach wegwarfen.«
    Sie bemerkte meinen ungläubigen Blick. »Ein reines Fantasieprodukt, es hat sie nie gegeben«, versicherte sie mir. »Darüber herrscht in der Fachwelt mittlerweile Einigkeit. Überwiegend, jedenfalls. Das hier« - sie zeigte auf die Grube - »ist kein mutwilliges Sammelsurium. Es sind die Überreste einer materiellen Kultur. Nur eben einer, die uns nach wie vor Rätsel aufgibt. Wir mussten lernen, nicht an dem Kontext zu verzweifeln, der sich nicht herstellen lässt, sondern einfach zu nehmen, was kommt. Der Rest wird sich ergeben. Hoffen wir.«
    Gegenstände, die verschiedenen Epochen hätten entstammen sollen, Seite an Seite. Keine der benachbarten Kulturen verstieg sich zu mehr als zaghaften, faszinierend unbestimmten Erwähnungen der Menschen aus der Zeit vor der Spaltung, Hexen und Zauberer der Sage nach, die allem, was sie wegwarfen, durch Magie eine andere, verwirrende Form gaben, um nichts von sich zu verraten. So benutzten sie sowohl Astrolabien, die Arzachel oder dem Mittelalter zur Ehre gereicht hätten, als auch Geschirr aus getrocknetem Lehm, Steinäxte wie aus der Hand eines meiner Ur-ur-und-so-weiter-Ahnen mit der fliehenden Stirn, mechanische Gerätschaften, raffiniert konstruierte Spielzeuginsekten, und die Ruinen ihrer Häuser schlummerten hier und da verborgen in Ul Qomas Erde und an einigen wenigen Stellen in der Besźels.
    »Das hier sind Senior Detective Dhatt von der Militsya und Inspektor Borlú von der Policzai«, erklärte Professor Nancy den Studenten in der Grube. »Inspektor Borlú leistet Amtshilfe bei den Ermittlungen in dem ... er hilft herauszufinden, was Mahalia passiert ist.«
    Einige von ihnen stöhnten. Dhatt hakte Namen ab, und ich folgte seinem Beispiel, als die Studenten einer nach dem anderen in den Gemeinschaftsraum getrottet kamen, um mit uns zu sprechen. Sie hatten alle bereits ihre Aussage gemacht, trotzdem beantworteten sie lammfromm zum wahrscheinlich x-ten Mal dieselben Fragen.
    »Ich war heilfroh, als ich hörte, Sie sind wegen Mahalia hier«, sagte die Gothic. »Das klingt furchtbar, ich weiß, aber ich dachte, ihr hättet Yolanda gefunden, und es wäre was Schlimmes passiert.« Sie hieß Rebecca Smith-Davis, war ein Erstsemester und betraut mit der Rekonstruktion beschädigter Gefäße. Ihr kamen die Tränen, als sie von ihren Freundinnen erzählte, der Toten und der Verschwundenen. »Ich dachte, Sie hätten sie gefunden, und sie wäre ...«
    »Wir können nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass wir es hier mit einem Vermisstenfall zu tun haben«, meinte Dhatt beschwichtigend.
    »Ihr Wort in Gottes Ohr. Aber seit das mit Mahalia passiert ist ...« Sie schüttelte den Kopf. »Und wo beide sich mit so spacigem Zeug beschäftigt haben.«
    »Orciny?«, fragte ich.
    »Ja. Und andere Sachen. Aber ja, Orciny. Bei Yolanda war es noch

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