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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Trautman seufzte. »Wahrscheinlich hast du Recht. Ich
werde wohl langsam alt.«
Sie gingen weiter. Wie Mike es vorausgesehen hatte, gab es
am Ufer des Sees, der sich im Inneren des Berges gebildet hatte,
einen gut zwei Meter breiten, vollkommen leeren Streifen, auf
dem sie bequem entlanggehen konnten. Dann und wann blieben
Trautman oder auch Mike stehen und tauchten die Finger ins
Wasser.
»Das ist seltsam«, murmelte Trautman.
»Es ist immer noch warm«, sagte Mike.
Trautman nickte. »Es wird immer wärmer, je weiter wir
kommen. Wirklich sonderbar.«
Vielleicht ist es doch eine heiße Quelle, dachte Mike. Wenn
sie tief genug unter Wasser lag, konnte das Quellwasser schon
weit genug abgekühlt sein, bis es die Oberfläche erreichte, um
nicht mehr zu kochen. Und dass Island als das Land der heißen
Quellen bekannt war, musste ja nicht bedeuten, dass es in
Grönland keine gab.
Im gleichen Maße, in dem sie sich dem Ende der Höhle
näherten, stieg die Sonne draußen höher, sodass es ganz
allmählich auch hier drinnen heller wurde. Mike sah seine
Vermutung bestätigt: Die Höhle führte zwei- oder dreihundert
Meter weit in den Berg hinein und endete dann vor einer Wand
aus massivem Eis. Im Grunde konnten sie es sich sparen, bis zu
ihrem Ende zu gehen.
Trotzdem taten sie es. Trautman blieb dicht vor der
zerschundenen weißen Barriere stehen, legte den Kopf in den
Nacken und ließ seinen Blick aufmerksam über die Wand
gleiten.
»Wonach suchen Sie?«, fragte Mike.
Statt zu antworten legte Trautman die flache Hand an die
Wand und schloss die Augen. »Das ist seltsam«, murmelte er.
»Was?«, fragte Mike.
Da er wieder keine Antwort bekam, trat er kurz entschlossen
neben Trautman an die Wand und tat das Gleiche wie er.
»Es sieht aus wie Eis«, sagte er in überraschtem Ton. »Aber
es fühlt sich nicht so an.« Er konnte jedoch nicht sagen, wie sich
das vermeintliche Eis anfühlte. Auf jeden Fall wie nichts, was er
jemals gefühlt hatte. »Spürst du es?«, flüsterte Trautman.
»Konzentrier dich!«
Mike wusste nicht genau, worauf Trautman eigentlich
hinauswollte, aber er schloss gehorsam die Augen und tat, was
er verlangt hatte. Im ersten Moment fühlte er nichts außer Kälte
und der schon fast unnatürlichen Glätte des weißen Materials;
wie Glas und trotzdem vollkommen anders. Dann ...
Etwas ... vibrierte. Tief unter der glatten Kälte des
angeblichen Eises pochte eine unterdückte, aber gewaltige
Kraft. Als schlüge im Inneren des Berges ein gigantisches
eisernes Herz, das im Moment vielleicht noch schlief, aber bald
erwachen würde.
»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte Trautman. »Hier
geht es sowieso nicht weiter.«
»Und wer sagt uns, dass es einen anderen Eingang gibt?«
»Niemand«, antwortete Trautman und drehte sich herum. Mit
einem Male schien er es sehr eilig zu haben, die Höhle wieder
zu verlassen. Trotzdem beherrschte er sich und ging den Weg,
den sie gekommen waren, mit gemessenen Schritten zurück.
Aber Mike war sicher, dass er am liebsten gerannt wäre.
Plötzlich blieb Trautman wieder stehen und hob die Hand.
»Ruhig!«, zischte er. »Da ist etwas!«
Mike sah sich alarmiert um – und hätte um ein Haar fast
aufgeschrien.
Noch vor wenigen Minuten hatten sie vor der Eiswand
gestanden und sie waren allein gewesen. Jetzt standen fünf oder
sechs Männer in weißen Felljacken da.
Außerdem hatten sie Gewehre in den Händen, mit denen sie in
ihre Richtung zielten ...
»Lauft!«, schrie Trautman.
Keine Sekunde zu früh. Kaum waren sie losgerannt, da klang
hinter ihnen ein ganzer Chor wütender Stimmen auf. Mike
konnte nicht genau verstehen, was die Männer schrien, aber er
begriff immerhin, dass sie ihnen in deutscher Sprache
nachbrüllten, und es gehörte nicht besonders viel Fantasie dazu,
sich den Rest zusammenzureimen.
Vor allem nicht mehr, als sie zu schießen begannen.
»Stehen bleiben!«, brüllten drei, vier Stimmen gleichzeitig
hinter ihnen. »Sofort anhalten!«
»Den Teufel werden wir tun!«, keuchte Trautman.
»Rennt, was ihr könnt!«
Das musste er weder Mike noch Kanuat eigens sagen. Die
Soldaten schossen immer heftiger. Einige Kugeln verfehlten sie
so knapp, dass Mike das hässliche Geräusch hören konnte, mit
dem sie durch die Luft zischten. Die deutschen Soldaten waren
vielleicht keine besonders guten Schützen, aber es war nur eine
Frage der Zeit, bis sie durch einen reinen Zufall getroffen
wurden.
Es passierte, als sie den Ausgang fast erreicht hatten.
Trautman, der

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