Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
das fast körperlich greifbar war. Es war, als ob in diesem
Eis noch etwas wäre, etwas, was hinaus wollte. Und irgendwie
hatte er das Gefühl, dass es nichts Gutes war.
    »Du spürst es auch, nicht wahr?«, fragte Trautman nach einer
Weile.
Mike nickte. »Ja ... Meinen Sie nicht, dass es jetzt allmählich
Zeit wäre, mir zu verraten, warum wir wirklich hier sind?«
»Um nach den Mitgliedern der verschollenen Expedition zu
suchen.«
»Und das ist wirklich alles?«, fragte Mike.
»Ja«, antwortete Trautman kurz angebunden. Er stand auf,
ging ein paar Schritte und blieb wieder stehen. Trotz der
herrschenden Dunkelheit konnte Mike sehen, wie nervös er war.
Er wiederholte seine Frage nicht, sondern erhob sich ebenfalls,
um an Trautmans Seite zu treten.
Als er ihn fast erreicht hatte, glomm irgendwo links von ihnen
ein mildes gelbes Licht auf. Trautman hob erschrocken die
Hand und legte den Zeigefinger der anderen über die Lippen.
Mike erstarrte für einen Moment mitten im Schritt, aber er
registrierte trotzdem, dass Kanuat hinter ihnen die Augen
aufschlug und sich rasch und lautlos erhob. Offenbar hatte er
doch nicht so tief geschlafen, wie es den Anschein gehabt hatte.
Zu dritt bewegten sie sich in die Richtung, aus der der
Lichtschein kam. Als sie ihn umkreist hatten, erlebten sie eine
Überraschung. Die Eisfläche setzte sich auf der anderen Seite
des Berges nicht direkt fort. Vielmehr standen sie plötzlich am
Rande eines lang gestreckten, tiefen Risses, auf dessen Grund
Wasser schimmerte. Warmes Wasser. Mike konnte den warmen
Dampf auf dem Gesicht spüren, und als er sich vorbeugte und
die Finger ins Wasser tauchte, stellte er fest, dass es mindestens
zehn oder fünfzehn Grad warm war – heiß im Vergleich zu
dem, was sie bisher hier gefunden hatten.
»Eine warme Quelle?«, fragte er stirnrunzelnd. Kanuat sagte
gar nichts und Trautman schüttelte den Kopf. »Wir sind hier
nicht in Island«, sagte er. »Außerdem müsste das Wasser dann
noch viel wärmer sein.«
»Dieser Fluss verschwindet im Berg«, sagte Kanuat und
machte eine entsprechende Geste. »Seht.«
Tatsächlich mündete der Riss in der Eisdecke in zwei- oder
dreihundert Metern Entfernung in einer Art aus Eis gebildeter
Tunnelöffnung, die tiefer in den Berg der Geister hineinführte.
Von dort kam auch das Licht, das sie hierher gelockt hatte.
Mike konnte seinen Ursprung jedoch immer noch nicht genau
identifizieren, denn er lag tief unter der Wasseroberfläche.
Und er bewegte sich.
Mike hielt erschrocken die Luft an, als der Lichtschein für
einen Moment wie eine suchende Hand in ihre Richtung tastete,
sodass das Eis, auf dem sie alle drei standen, plötzlich von
innen heraus aufzuglühen schien. Dann aber glitt der Lichtstrahl
weiter und verschwand unter dem Eis. Und dann glaubte Mike
einen riesigen Schatten zu sehen, der durch die Tiefe des
Wassers vor ihnen glitt. Das Eis unter ihren Füßen vibrierte, als
etwas Gigantisches, Schwarzes vorüberglitt, dann verblasste
auch der letzte Lichtschein.
»Was ... war das?«, murmelte Mike.
»Ich weiß es nicht«, sagte Kanuat.
»Und ich glaube, ich will es gar nicht wissen«, fügte
Trautman hinzu. »Irgendetwas ist aus dem Berg
herausgekommen, so viel steht fest.«
Mike sah nachdenklich nach rechts. Nachdem der Lichtschein
erloschen war, war der Tunneleingang wieder in der Dunkelheit
verschwunden. Trotzdem hatte er sich seine Lage genau
eingeprägt.
»Ich glaube, da war ein schmaler Streifen am Rand, an dem
man entlanggehen kann«, sagte er. »Warum sehen wir uns nicht
ein bisschen um?«
»Meinetwegen«, sagte Trautman. »Aber seid bloß vorsichtig.«
Als ob diese Warnung nötig gewesen wäre!
Sie bewegten sich langsam auf den Berg zu. Der Weg war
weiter, als sie geglaubt hatten, sodass es zu dämmern begann,
bis sie den Eistunnel erreichten. Und auch er war größer, als
Mike angenommen hatte. Der Zenit des aus glitzerndem Weiß
gebildeten Halbrunds befand sich sicher fünfzehn Meter über
ihren Köpfen und die Höhle, die dahinter in den Berg
hineinführte, musste groß genug sein, um gleich zwei Schiffe
von den Abmessungen der NAUTILUS aufzunehmen. Das
Licht, das von außen hineindrang, reichte nicht aus, um sie ganz
zu überblicken, aber Mike glaubte zumindest eine schimmernde
weiße Wand an ihrem Ende zu sehen. Eis. Was denn auch
sonst?
»Gehen wir hinein?«, fragte er.
Trautman zögerte. »Das gefällt mir nicht«, sagte er.
»Ich habe kein gutes Gefühl.«
»Es ist nur eine Höhle.«
»Ja.«

Weitere Kostenlose Bücher