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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vernommen hatten.
Diesmal hörte es jedoch nicht auf, sondern nahm allmählich
an Lautstärke zu und auch seine Frequenz wurde schneller. Es
war jetzt fast ein Stampfen, ein noch immer unheimlicher Laut,
der Mike aber trotzdem auf sonderbare Weise bekannt vorkam.
Es klang ähnlich wie das Geräusch riesiger, geheimnisvoller
Maschinen, die irgendwo tief unter der Erde auf Hochtouren
liefen.
Dann ... geschah etwas Seltsames. Mike konnte über die große
Entfernung nicht genau sagen, was, aber für einige Augenblicke
hatte er das verrückte Gefühl, dass der gesamte Berg sich ... bewegte.
    Plötzlich drang ein unheimliches, intensives blaues Licht aus
dem Berg. In der Nacht erschien es doppelt grell, sodass Mike
für eine Sekunde geblendet die Augen schloss und schützend
beide Hände vor das Gesicht hob.
    »Was ... ist das?«, murmelte Trautman erschrocken. Mike
nahm die Hände herunter und sah zuerst ihn an, ehe er wieder
zu dem Berg hinüberblickte. Das kalte, blauweiße Licht
spiegelte sich auf Trautmans Gesicht und ließ jede noch so
winzige Linie, jede Narbe und jede Falte überdeutlich
hervortreten. Es sah regelrecht gespenstisch aus.
    Das Licht, das aus dem Berg strahlte, war jetzt nicht mehr
ganz so gleißend. Trotzdem sah der Berg aus, als hätte er sich in
einen riesigen, lodernden Stern verwandelt. Das Eis glühte von
innen heraus in kaltem Feuer.
»Was ist das?«, fragte Trautman noch einmal.
    »Vor zwei Tagen hätte ich noch gesagt, der Zorn der Geister«,
antwortete Kanuat. »Jetzt bin ich nicht mehr sicher.«
Mike sah den Inuit irritiert an. Die Geschehnisse der letzten
beiden Minuten hätten beinahe dazu geführt, dass er anfing an
Gespenster zu glauben. Auf Kanuat schienen sie genau die
gegenteilige Wirkung auszuüben. Mike verstand nicht, warum.
Der unheimliche Effekt hielt noch einige Minuten an, dann
begann das Licht allmählich zu verblassen und auch die
beunruhigenden Geräusche nahmen rasch an Intensität ab. Nicht
einmal zehn Minuten, nachdem es begonnen hatte, war alles
vorbei. Der Berg war wieder in der Nacht verschwunden und
die Dunkelheit kam Mike jetzt doppelt so tief vor.
»Wie oft passiert das?«, fragte er leise. »Das weiß niemand«,
antwortete Kanuat. »Keiner von uns hat sich dem Berg jemals
so weit genähert.« »Aber du tust es jetzt«, sagte Trautman.
»Warum? Um uns zu helfen?«
»Euch?« Kanuat schüttelte heftig den Kopf. »Euer Streit
interessiert mich nicht. Er geht mich nichts an. Es kann mir
gleich sein, ob ihr ihn gewinnt oder verliert, denn gleich, welche
Seite nun siegt, ihr werdet ihn an einem anderen Ort und zu
einer anderen Zeit doch fortsetzen. Ich will meinem Volk
helfen. Vielleicht gehen die Deutschen fort, wenn ihr Geheimnis
keines mehr ist.«
»Dann glaubst du auch nicht mehr, dass es sich um das
Wirken von Geistern handelt?«, fragte Trautman. »Ihr nennt es
Wissenschaft und wir Magie«, antwortete Kanuat. »Wo ist der
Unterschied?« »Vielleicht hast du Recht«, murmelte Trautman.
»Vielleicht ist es gar keiner.«
Kanuat lachte. »In fünf Stunden geht die Sonne auf«, sagte er.
»Dann werden wir die Antwort wissen.«
    Abweichend von Kanuats Schätzung erreichten sie den Berg der
Geister eine Stunde vor Sonnenaufgang, sodass sie
notgedrungen eine Zwangspause einlegen mussten, ehe sie mit
seiner Erforschung beginnen konnten.
    Keiner von ihnen war sehr böse darüber. Kanuat spannte die
Hunde aus, die sich sofort auf dem Eis zusammenrollten und
einschliefen, und auch der Inuit selbst streckte sich auf dem
blanken Boden aus und schloss die Augen. Mike beneidete ihn
fast darum. Auch er spürte jede Meile, die sie zurückgelegt
hatten, in den Knochen, aber er hätte niemals einfach die Augen
zumachen und schlafen können; nicht in unmittelbarer Nähe
dieses Berges.
    Trautman schien es ebenso zu ergehen. Da ihnen das Eis zu
kalt war, hatten sie sich nebeneinander auf die Kante des
Schlittens gesetzt und die Beine ausgestreckt, und obwohl
keiner von ihnen sprach, reichte ein einziger Blick in Trautmans
Gesicht, um Mike klarzumachen, dass ihn die Nähe des Berges
mit derselben Furcht erfüllte wie ihn.
    Dabei sah er aus der Nähe betrachtet fast wie ein ganz
normaler Eisberg aus. Seine bizarre Form war nur aus großer
Entfernung zu erkennen und das geheimnisvolle Leuchten hatte
ebenso aufgehört wie die unheimlichen Laute.
    Trotzdem ... Irgendetwas war hier nicht so, wie es sein sollte.
Es war nichts, was er hätte hören oder sehen können, aber
etwas,

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