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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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langen Doppelreihe überbelegter
Gitterkäfige zu einem Raum ganz am Ende des Korridors
geführt, der ihm offensichtlich allein zugedacht war. Vermutlich
nahm Vom Dorff auch noch an, dass er ihm mit dieser
Sonderbehandlung einen Gefallen tat!
    Die Stadt unter dem Eis schien eine eigene Zeitrechnung zu
haben, die sich von der draußen gehörig unterschied, denn die
allermeisten Gefangenen lagen auf ihren Pritschen oder auch
auf dem nackten Fußboden und schliefen. Nur einige wenige
hoben müde den Kopf oder blinzelten in seine Richtung, ohne
ihm auch nur einen zweiten Blick zu gönnen. Die Ankunft eines
neuen Gefangenen schien hier unten nichts Besonderes zu sein.
    Mike war ganz froh darüber. Er war sehr müde und hatte
keine Lust mehr zu reden. Hinter seiner Stirn überschlugen sich
die Gedanken. Er war noch nicht so weit es sich einzugestehen,
aber Tatsache war, dass er sich in einer nahezu aussichtslosen
Lage befand. Sicher, nicht zum ersten Mal – aber es war selten
so schlimm gewesen wie heute. Vom Dorff und die anderen
hatten eindeutig alle Vorteile auf ihrer Seite. Um sich von
seinen düsteren Gedanken abzulenken, wälzte er sich auf der
unbequemen Pritsche auf die Seite und sah sich um. Durch die
Gitterstäbe seines Gefängnisses konnte er in etliche der anderen
Zellen hineinsehen. Bei einigen Gefangenen handelte es sich
sicherlich um Mitglieder der verschollenen Expedition, aber er
sah auch Männer in Marineuniformen und schmuddeligen
Lumpen. Ungeachtet seiner zur Schau getragenen Großmut
schien Vom Dorff ein ziemlich strenges Regime zu führen. Mit
diesem Gedanken schlief er ein.
    Und erwachte, als jemand seine Zelle betrat und derart laut mit
etwas herumklapperte, dass man meinen konnte, der ganze Berg
über ihnen wäre zusammengebrochen. Mike öffnete verschlafen
die Augen, setzte sich gähnend auf und bekam gerade noch mit,
wie seine Zellentür wieder zugeschlagen wurde. Als er die
Beine von der Pritsche schwang, wäre er um ein Haar in einen
flachen Blechteller getreten, den der Mann zurückgelassen
hatte.
    Jedenfalls wusste er jetzt, was der Grund für die Aufregung
war. Die unappetitliche wässrige Brühe, die in dem Teller
schwappte, stellte offensichtlich sein Frühstück dar.
    Abgesehen von ihm selbst waren alle anderen Gefangenen
schon emsig damit beschäftigt, ihre Suppe lautstark
auszuschlürfen – wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, Suppe
zu sich zu nehmen, wenn man keinen Löffel hatte. Der
Gefangenenwärter hatte kein Besteck dazugetan.
    Der Anblick der Suppe regte nicht unbedingt Mikes Appetit
an, sodass er die Gelegenheit nutzte, sich gründlich umzusehen.
Der Mann, der in der Zelle neben ihm saß, kam ihm auf
sonderbare Weise bekannt vor, obwohl er sein Gesicht gar nicht
richtig erkennen konnte, denn er saß so auf dem Rand seiner
Pritsche, dass er nicht in Mikes Richtung sah. Außerdem war es
vollkommen ausgeschlossen, dass sie sich kannten. Seine
Erinnerung spielte ihm wohl einen Streich. Mike wandte sich
den Männern in der Zelle auf der anderen Seite zu.
    Er war ziemlich sicher, es dabei mit Mitgliedern genau der
Expedition zu tun zu haben, die sie suchten. Sie trugen
zerschlissene, vollkommen verdreckte Winterkleidung, die ganz
den Eindruck machte, als hätten sie sie seit einem Jahr nicht
mehr gewechselt, und auch ihr Haar und ihre Barte waren lang
und ungepflegt.
    Nach einer Weile schien sein Starren den Männern wohl
aufzufallen, denn plötzlich ließ einer von ihnen seinen Teller
sinken, fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und
deutete dann mit einer Kopfbewegung auf Mikes eigene Suppe.
    »Du solltest lieber essen«, sagte er.
»Ich habe keinen Appetit«, antwortete Mike. »Nicht darauf.« Der Mann schlürfte den Rest seiner Suppe aus, fuhr sich noch
    einmal mit dem Handrücken über den Mund und stellte den
Teller zu Boden. »Du bist verwöhnt, wie?«, fragte er. »Das legt
sich. In spätestens drei Tagen sehnst du dich nach dem Fraß,
mein Wort darauf. Ich habe sogar das Gefühl, dass heute
Sonntag sein muss. So was Gutes gibt's nicht jeden Tag. Also
iss lieber.«
»Und wenn du es wirklich nicht willst, dann gib es mir«, sagte
der Mann in der anderen Nebenzelle. »Es ist zu schade zum
Wegschütten.«
    Mike drehte langsam den Kopf
– und riss ungläubig die
Augen auf. »Trautman?«, keuchte er. »Aber das ist doch ...«
Es war nicht nur unmöglich, es war auch nicht Trautman.
Aber die Ähnlichkeit war wirklich frappierend. Der Mann war
viel jünger

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