Die standhafte Witwe
Land von John zu befreien. Sie wollen nicht länger warten. John übt eine Schreckensherrschaft aus«, setzte sie flüsternd hinzu. »Er besitzt kein Gewissen, nicht einmal den Mitgliedern seiner eigenen Familie gegenüber. Habt ihr gewußt, daß er sich gegen seinen eigenen Vater gewandt und sich während ihrer Streitigkeiten mit dem französischen König verbündet hat? Henry starb mit gebrochenem Herzen, denn er hatte immer geglaubt, von all seinen Kindern wäre John der treueste gewesen.«
»Woher wißt Ihr das alles?« fragte Calum.
»Von meinem Bruder Nicholas.«
»Du hast mir immer noch nicht erklärt, warum Goode dich sprechen will«, rief ihr Gabriel in Erinnerung.
»Vielleicht glaubt er, ich könnte ihm gegen König John helfen. Aber selbst wenn ich es könnte, täte ich es nicht. Es hätte im Augenblick keinen Zweck. Ich werde meine Familie nicht mit in diesen Streit hineinziehen. Nicholas und meine Mutter würden beide darunter leiden müssen, wenn ich ihm sage …«
»Was sagst?« hakte ihr Mann schnell nach.
Sie gab keine Antwort.
Calum stieß sie leicht mit dem Ellenbogen an. »Will Arthur die Krone denn?« fragte er.
»Allerdings«, gab sie zurück. »Aber ich bin nur eine Frau, Calum. Ich beschäftige mich nicht mit den politischen Spielchen Englands. Ich kann mir nicht vorstellen, warum Baron Goode mit mir reden will. Ich weiß nichts, was ihn unterstützen könnte, König John vom Thron zu stoßen.«
Sie log, Gabriel hatte keinerlei Zweifel. Und ganz offensichtlich hatte sie schreckliche Angst.
»Goode will dich irgend etwas fragen«, bemerkte er.
»Was denn?« fragte Calum, als seine Herrin weiterhin schwieg.
Gabriel heftete den Blick auf seine Frau, als er zur Antwort ansetzte. »Über Arthur«, sagte er. »Er ist inzwischen überzeugt, daß der Neffe des Königs ermordet worden ist.«
Johanna schickte sich an, aufzustehen. Gabriel griff nach ihrer Hand und drückte sie auf den Stuhl zurück. Er konnte spüren, wie sie zitterte.
»Ich will nicht mit Goode sprechen«, schrie sie. »Arthur ist vor über vier Jahren verschwunden. Ich begreife nicht, warum der Baron sich plötzlich wieder dafür interessiert, wo Arthur sein könnte. Ich habe ihm nichts zu sagen!«
Sie hatte Gabriel schon mehr verraten, als sie beabsichtigt haben konnte. Als sie von Arthur gesprochen hatte, hatte sie die vielsagende Vergangenheitsform benutzt.
Johanna wußte bereits, daß der Neffe des Königs tot war. Wahrscheinlich wußte sie auch, wie er gestorben war und wer die schreckliche Tat begangen hatte. Gabriel durchdachte kurz die möglichen Folgen, wenn seine Vermutung sich bestätigte, dann schüttelte er den Kopf. »England ist Welten von uns entfernt«, verkündete er. »Ich werde keinem Baron erlauben, mein Land zu betreten. Ich werde niemals mein Wort brechen, Johanna. Du mußt nicht mit ihm reden.«
Sie nickte. Calum setzte zu einer weiteren Frage an, aber sein Clansherr ließ ihn mit einem Blick verstummen.
»Das reicht jetzt zu diesem Thema«, ordnete er an. »Ich will den Bericht über die Fortschritte am Mauerbau hören, Calum.«
Johanna war zu durcheinander, um der Unterhaltung weiter folgen zu können. Ihr war flau im Magen, und sie brachte kaum einen Bissen Käse hinunter.
Sie starrte auf das Eberfleisch und den gesalzenen Lachs und fragte sich, wie lange sie noch sitzen bleiben mußte, bevor sie sich zurückziehen konnte.
»Du solltest etwas essen«, sagte Gabriel.
»Ich hab’ keinen Hunger«, antwortete sie. »Ich bin es nicht gewohnt, kurz vor dem Schlafengehen solch gewaltige Mahlzeiten zu mir zu nehmen, M’lord«, erklärte sie als Ausrede. »In England gab es die Hauptmahlzeiten meistens zwischen zehn und zwölf und später am Tag nur noch ein leichteres Essen. Es dauert einige Zeit, bis ich mich an diese Veränderung gewöhnt habe. Würdest du mich jetzt entschuldigen? Ich möchte hinaufgehen.«
Gabriel nickte zur Erlaubnis. Da Calum sie anstarrte, wünschte sie ihm gute Nacht, stand auf und ging auf den Eingang zu. Als sie Dumfries sah, der sich links von der Treppe wälzte, machte sie einen großen Bogen um den Hund, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Als sie an ihm vorbei war, eilte sie hinaus.
Sie nahm sich Zeit, um sich für das Bett fertig zu machen. Der Ablauf solcher einfachen, unkomplizierten und gewohnten Rituale beruhigte sie und gab ihr die Möglichkeit, ihre Angst in den Griff zu bekommen, indem sie sich zwang, sich auf jeden Handgriff zu konzentrieren. Sie legte
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