Die standhafte Witwe
versprach Keith. Er war ziemlich erleichtert, daß sie nicht von ihm verlangte, MacBain alles zu wiederholen, denn er wußte, dieser würde über die Beleidigung rasend werden. Die Tatsache, daß das unmögliche Benehmen von den Maclaurins kam, ärgerte ihn. Als ihr Anführer konnte er sich der Last der widerstreitenden Pflichten nicht entziehen. Natürlich hatte er seinem Clansherrn Loyalität geschworen, und er würde sein Leben dafür geben, MacBain zu beschützen. Und dieser Eid bezog sich auch auf seine Frau. Er würde tun, was immer nötig war, um Lady Johanna vor Schaden zu bewahren.
Doch er war auch der Anführer seiner Clansangehörigen und hielt es in dieser Eigenschaft für richtig, daß die Probleme der Maclaurins auch von den Maclaurins gelöst wurden und nicht von den MacBains. Würde er seinem Clansherrn von der Grausamkeit der Maclaurin-Frauen berichten, wäre das eine Art Verrat. Keith wußte genau, daß es Glynis und ihr Gefolge waren, die sich diese Unbotmäßigkeit erlaubten. Und so beschloß er, sich die Zeit zu einem ernsthaften Gespräch mit den Frauen zu nehmen. Er würde ihnen befehlen, ihrer Herrin den Respekt zu erweisen, den ihre Position verlangte.
Johanna ging hinauf in ihr Schlafzimmer und blieb den Rest des Nachmittags dort. Ihre Stimmung wechselte ständig zwischen Wut und Selbstmitleid. Natürlich litt sie unter der Beleidigung durch diese Frauen, aber das war nicht der wirkliche Grund, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Nay, was Johanna wirklich Sorgen machte, war die Möglichkeit, daß jene Frauen recht haben konnten. War sie wirklich so schwächlich und feige?
Sie fand keine Antwort darauf. Am liebsten wäre sie in ihrer Kammer geblieben, zwang sich dann aber doch, zum Essen hinunterzugehen. Gabriel würde von der Jagd heimgekehrt sein, und Keith wäre ebenfalls da, und sie wollte keinesfalls, daß einer der beiden auf die Idee käme, sie hätte Schwierigkeiten.
Die Halle war voller Soldaten. Die meisten hatten sich bereits an die beiden langen Tische gesetzt, die rechts im Raum aneinanderstießen. Der Duft frischen Holzes und der saubere Binsen auf dem Boden vermischte sich mit den herzhaften Aromen der Mahlzeit, die nun auf gewaltigen Scheiben von zwei Tage altem schwarzem Brot in die Halle getragen wurde.
Niemand stand auf, als sie eintrat. Diese Unachtsamkeit war ärgerlich, aber sie glaubte nicht, daß die Männer absichtlich unhöflich sein wollten, denn einige winkten ihr zu, als sie ihrer ansichtig wurden. Die Männer wußten vermutlich gar nicht, daß sie aufzustehen hatten, sobald eine Lady einen Raum betrat.
Sie überlegte, wie es möglich werden sollte, daß diese beiden Gruppen von stolzen, braven Männern sich wirklich wie ein einziger Clan fühlen würden. Sie waren so bemüht, sich voneinander fernzuhalten! Wenn einer der Maclaurin-Soldaten einen Witz machte, lachten nur seine Clansbrüder. Von den MacBains kam nicht einmal ein Lächeln.
Und natürlich saßen sie an verschiedenen Tischen. Gabriels Platz war am Kopf des einen Tisches, an dem ausschließlich MacBain-Soldaten und sie saßen. Die Maclaurins belegten den anderen Tisch.
An diesem Abend schien Gabriel sie kaum zu bemerkten. Er hielt eine Pergamentrolle in der Hand und las mit gerunzelter Stirn.
Johanna wollte ihn dabei nicht stören, die Männer allerdings waren nicht so rücksichtsvoll.
»Was will Gillevrey denn?« fragte Calum seinen Clansherrn.
»M’lady, er ist der Herr des Clans, der südlich von uns lebt«, brüllte Keith zur Erklärung vom anderen Tisch herüber. »Er hat diese Botschaft geschickt«, setzte er hinzu und wandte sich an den Clansherrn. »Was will der alte Mann?«
Gabriel las die Botschaft zu Ende und rollte das Pergament wieder zusammen. »Die Botschaft ist für Johanna.«
Sie riß die Augen erstaunt auf. »Für mich?« fragte sie, während sie die Hand nach dem Pergament ausstreckte.
»Kannst du lesen?« fragte Gabriel.
»Ja«, antwortete sie. »Ich habe darauf bestanden, es zu lernen.«
»Warum das?« fragte ihr Mann.
Sie zuckte die Schultern. »Weil es verboten war«, flüsterte sie. Sie fügte nicht hinzu, daß Raulf ihr ständig eingebleut hatte, sie sei zu dumm, um irgend etwas zu lernen, und sie sich und ihm unbedingt damit das Gegenteil hatte beweisen wollen. Dennoch war es ein stummer Trotz von ihrer Seite gewesen, denn Raulf hatte nie erfahren, daß sie bald die schwierige Aufgabe des Lesens und Schreibens beherrschte. Ihr Lehrer hatte zuviel Angst
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