Die standhafte Witwe
hervorquellende Augen. Der alte Mann hatte ein zerfurchtes Gesicht mit dicken Augenbrauen. Sein Blick war auf Gabriel geheftet, der gerade über die Lichtung heraufkam. Als er nur noch ein paar Fuß von den MacInnes-Männern entfernt war, blieb er stehen.
Der Clansherr sagte etwas, das Gabriel offensichtlich sehr wütend machte. Seine Miene wurde finsterer denn je – furchteinflößend. Diesen Gesichtsausdruck hatte Johanna noch nie zuvor gesehen, und sie schauderte. Gabriel sah aus, als wäre er zum Kampf bereit.
Die MacBain-Soldaten sammelten sich hinter ihrem Anführer. Die Maclaurins schlossen sich an.
MacInnes machte eine Geste, und ein Soldat stieg rasch von seinem Pferd und kam an seine Seite. Der Mann sah MacInnes ähnlich, er konnte durchaus sein Sohn sein. Sie beobachtete, wie er den großen Rupfensack vom Schoß des Alten zog, das Gewicht in seinen Armen ausbalancierte und um das gefleckte Pferd herumging. Er hielt ein paar Schritte vor Gabriel an und warf den Sack auf den Boden.
Der Stoff riß. Staub wirbelte auf, und als er sich wieder legte, konnte Johanna sehen, was das Geschenk des Clansherrn war: Eine Frau, so zerschlagen und blutig, daß ihr Gesicht kaum noch zu erkennen war, tauchte daraus hervor und rollte auf die Seite. Sie war nackt, und es gab keine Stelle an ihrem Körper, die unverletzt war.
Johanna taumelte von der Tür weg. Aus der Tiefe ihrer Kehle rang sich ein Wimmern. Sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Ihr wurde so übel vom Anblick der zerschlagenen Frau, daß sie am liebsten vor Scham geweint hätte … und vor Zorn aufgeschrien.
Sie tat nichts von beiden. Statt dessen griff sie nach Pfeil und Bogen.
KAPITEL 11
Johannas Hände bebten. Sie hatte nur einen Gedanken: Sie wollte perfekt zielen, wenn sie die Bastarde tötete, die diese abscheuliche Tat begangen hatten.
Auch Gabriel zitterte vor Wut. Seine Hand glitt zum Griff seines Schwertes. Er konnte nicht glauben, daß ein Highlander sich mit einer solch feigen Schandtat entehrte. Und dennoch lag der Beweis vor ihm auf dem Boden.
Clansherr MacInnes sah ihn selbstgefällig an. Gabriel beschloß, ihn als erstes zu töten.
»Habt Ihr diese Frau zu Tode prügeln lassen?« Er hatte die Frage nicht ausgesprochen, er hatte sie geknurrt.
Der MacInnes-Anführer runzelte die Stirn. »Sie ist nicht tot. Sie atmet noch.«
»Seid Ihr dafür verantwortlich?« grollte Gabriel wieder.
»Das bin ich«, brüllte der Clansherr zurück. »Ganz gewiß.«
Für Gabriel hörte es sich wie Prahlerei an, und er schickte sich an, sein Schwert zu ziehen. MacInnes bemerkte es und erkannte plötzlich seine gefährliche Lage. Schnell setzte er zu einer Erklärung an.
»Clare MacKay ist durch ihren Vater in den Haushalt gebracht worden«, rief er. »Sie sollte meinen ältesten Sohn Robert heiraten.« Er hielt inne und nickte dem Soldaten zu, der neben seinem Pferd stand. Dann fuhr er fort: »Ich wollte unsere zwei Clans einen und damit soviel Macht bekommen, daß man mit uns zu rechnen hat, doch die Hure wurde vor drei Monaten befleckt, und zwar durch einen von Euch, MacBain. Es hat keinen Zweck, es abzustreiten, denn Euer Plaid wurde von dreien meiner Männer gesehen. Clare MacKay verbrachte eine ganze Nacht mit dem Kerl. Zuerst log sie und erzählte, sie hätte die Nacht mit ihren Cousinen verbracht. Ich war dumm genug, ihr zu glauben. Als sie schließlich entdeckte, daß sie schwanger war, hatte sie auch noch die Frechheit, mit ihrer Sünde zu prahlen. War es nicht so, Robert?«
»Aye, so war es«, antwortete sein Sohn. »Ich will keine Hure heiraten«, bellte er. »Ein MacBain hat sie entehrt, ein MacBain soll sie auch haben.«
Nach diesen Worten wandte er seinen Blick zu der Frau auf dem Boden. Er spuckte aus, dann stellte er sich mit boshaftem Gesichtsausdruck über die Bewußtlose.
Langsam zog er seinen gestiefelten Fuß zurück und setzte zu einem Tritt an.
Ein Pfeil hielt ihn auf. Robert kreischte vor Schmerz und taumelte zurück. Der Pfeil steckte in seinem Oberschenkel, und seine Hände fuhren über sein Bein, als er sich immer noch schreiend umdrehte, um seinem Angreifer ins Auge zu blicken. Johanna stand auf der obersten Stufe. Ihr Blick war starr auf den Soldaten gerichtet. Sie legte einen weiteren Pfeil an den Bogen, ohne den Mann aus den Augen zu lassen.
Beim geringsten Anlaß würde sie ihn töten.
Alle Augen waren nun auf sie gerichtet. Gabriel hatte den Mann daran hindern wollen, die Frau zu treten, doch der Pfeil war
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