Die standhafte Witwe
dem Gesicht. »Warum haben sie ihr das Haar abgeschnitten?«
Sie berührte den Kopf der Frau. Clare MacKay hatte dickes, dunkelbraunes, glattes Haar, das nun kaum noch ihre Ohren bedeckte. Die MacInnes-Männer hatten keine Schere benutzt, dazu sahen die Strähnen zu ausgefranst aus. Sie hatten dazu ein Messer genommen.
Eine Demütigung, dachte Johanna. Aye, deswegen hatten sie es getan.
»Es ist ein Wunder, daß sie noch atmet«, bemerkte Gabriel. »Tu, was du kannst, Johanna. Ich werde jetzt Vater MacKechnie hereinbitten. Er wird ihr die Letzte Ölung geben wollen.«
Johanna hätte am liebsten geschrien. Die Vernunft sagte Johanna, daß es das beste wäre, doch die Frau atmete verdammt noch mal immer noch, und Johanna wollte sich einfach nicht eingestehen, daß sie es nicht schaffen würde.
»Nur als Vorsorge«, beruhigte Gabriel sie.
»Ja«, flüsterte sie. »Nur als Vorsorge.« Sie richtete sich auf. »Ich werde es ihr bequemer machen«, verkündete sie dann. Sie holte die Schüssel und den Wasserkrug von der Truhe. Sie wollte sie neben dem Bett auf den Boden stellen, doch Gabriel zog ihr die Truhe näher heran. Er ging auf die Tür zu, als Johanna durch den Raum eilte und Leintücher zusammensuchte.
Gabriel griff nach dem Riegel, hielt dann plötzlich inne. Er drehte sich um und sah seine Frau an, die nicht mehr auf ihn achtete. Sie setzte sich aufs Bett und tunkte eines der Tücher in die Wasserschüssel.
»Beantworte mir eine Frage«, befahl er.
»Ja?«
»Bist du auch so geschlagen worden?«
Johanna sah ihren Mann nicht an, als sie antwortete.
»Nein.«
Er bemerkte erst jetzt, daß er den Atem angehalten hatte. Nun stieß er ihn erleichtert aus.
Bis sie ihre Antwort korrigierte. »Er hat mich selten ins Gesicht oder auf den Kopf geschlagen. Nur einmal war er nicht so vorsichtig.«
»Und dein restlicher Körper?«
»Die Kleidung versteckte die Prellungen«, antwortete sie.
Sie konnte nicht ahnen, was ihre Erklärung bei ihm anrichtete. Gabriel war entsetzt. Es kam ihm wie ein Wunder vor, daß sie überhaupt in eine zweite Ehe eingewilligt hatte. Hölle, und er hatte verlangt, daß sie ihm vertraute. Nun kam er sich wie ein Vollidiot vor. Wenn er an ihrer Stelle wäre, hätte er ganz sicher niemals mehr überhaupt jemandem vertraut.
»Sie wird keine Narben zurückbehalten«, flüsterte Johanna. »Das meiste Blut in ihrem Gesicht ist aus der Nase gekommen. Ein Wunder, daß sie sie nicht gebrochen haben. Sie ist eine hübsche Frau, findest du nicht, Gabriel?«
»Ihr Gesicht ist zu geschwollen, um das zu beurteilen«, antwortete er.
»Sie hätten ihr das Haar nicht abschneiden dürfen.«
Diese geringe Bestrafung schien sie furchtbar aufzuregen. »Johanna, das war doch wohl nicht das schlimmste. Sie hätten sie nicht schlagen dürfen. Hunde werden ja besser behandelt.«
Johanna nickte. Und Ochsen, dachte sie.
»Gabriel?«
»Ja?«
»Ich bin froh, daß ich dich geheiratet habe.«
Sie war zu verlegen, um ihn bei diesen Worten anzusehen, und so tat sie so, als erfordere die Aufgabe, das Tuch auszuwringen, jedes bißchen ihrer Konzentration.
Er lächelte. »Das weiß ich.«
Seine Arroganz geriet wirklich außer Kontrolle. Dennoch wärmte sie ihr das Herz. Sie schüttelte den Kopf und begann wieder, der jungen Frau das Blut aus dem Gesicht zu tupfen. Dabei murmelte sie tröstende Worte. Sie bezweifelte zwar, daß Clare MacKay etwas davon hörte, aber Johanna beruhigte es selbst, ihr immer wieder zu versichern, sie wäre nun in Sicherheit. Und sie fügte das Versprechen hinzu, daß niemand ihr je wieder etwas tun würde.
Gabriel zog die Tür auf und fand den ganzen Flur voller Frauen vor. Alle trugen das MacBain-Plaid.
Hilda führte die Gruppe an. »Wir möchten unsere Hilfe anbieten«, sagte sie.
»Vater MacKechnie soll ihr die Letzte Ölung geben, bevor ihr hineinkönnt«, befahl Gabriel.
Der Priester wartete bereits. Er hörte die Worte des Clansherrn und drängelte sich augenblicklich vor, wobei er dauernd Entschuldigungen murmelte. Er trat in die Kammer, stellte sich ans Bettende, wo er seinen Beutel zurückgelassen hatte, und zog eine schmale, purpurne Stola heraus. Er küßte die Fransenenden, murmelte seine Gebete und legte sie sich dann um die Schultern.
Gabriel zog die Tür zu und ging hinunter. Calum und Keith warteten schon auf ihn, um ihm in die große Halle zu folgen. Gabriel sah das Plaid auf dem Boden vor dem Herd, seinen Hund aber nicht. »Wo ist Dumfries?«
»Stromert
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