Die Stasi Lebt
zunächst wenig. Aus Honeckers Garde hatte die Justiz nur noch Stasi-General Mielke im Visier wie ihn, für viele eine Hassfigur wie er.
Der Bayer seufzt: Die Prozesse, die sein Dasein verdüsterten, seien hoffentlich abgeschlossen. Schalck konstatiert mit beträchtlichem Groll, er sei zum Bösewicht des SED-Regimes stilisiert worden. Berichte erwähnten Betrug, Geldverschiebung, Steuerhinterziehung, Spionage, Veruntreuung, man prophezeite ihm zehn Jahre Haft. Heraus kam bisher eine Verurteilung zu 16 Monaten Haft auf Bewährung wegen illegaler Waffengeschäfte. Bis heute hält sich das Gerücht, er verfüge über sagenhafte schwarze Kassen. Der Schluss daraus: Mit einem solch cleveren, schillernden, umstrittenen, irgendwie unfassbaren Typen werde der Rechtsstaat nicht fertig. Keine Frage: »Ich war ein verantwortlicher Funktionär. Das kann ich nicht wegmogeln.« Der Vertraute von Honecker, Mittag, Mielke und Kreuz agierte als Kopf der labyrinthischen »KoKo«, des undurchsichtigen Bereichs »Kommerzielle Koordinierung«; im Bundestag als »Mittelding zwischen Staatsorgan und Mafia« definiert. Schalck jonglierte mit schwindelerregenden Valuta-Milliarden. In seinem Sachgebiet sahen viele den magischen Schlüssel zu den dunklen Geheimnissen der DDR. Das Zweideutige und nicht Geheure resultierte nicht zuletzt aus seiner Doppelfunktion: hie Staatssekretär, da gleichzeitig Stasi-»Offizier im besonderen Einsatz« (OibE).
Von der »KoKo« führte eine Spur in die morbide Bonzensiedlung Wandlitz, vor allem deshalb schlug ihm scharfe Feindseligkeit entgegen. Die Werktätigen stempelten das ZK-Mitglied zum Vampir, der sie raffgierig ausgesaugt habe, insoweit eine das Scheitern der DDR symbolisierende Gestalt. Wie die Unschuld vom Lande sitzt er da und hält fest: »Ich bin nicht vom Westen verraten worden! Ich wurde geopfert von den eigenen Leuten!« Ministerpräsident Hans Modrow, seit FDJ-Zeiten gut mit Schalcks Frau Sigrid befreundet, jagte einen Haftbefehl hinter ihm her. Die Vorwürfe von der eigenen Seite brennen, stockend geht ihm über die Lippen: »Von daher die Verbitterung.«
»Etwas wehmütig« rekapituliert er des Weiteren, dass sich in der Wende-Bedrängnis keine helfende Hand aus Bonn für ihn rührte. Er, der seit 1967 ununterbrochen für den Genossen General-sekretär mit der Bundesregierung dealte (und sich deshalb für unantastbar halten mochte), lernte schmerzhaft: »Politiker kennen keine Freunde, nur Interessen!« Er hatte nicht erwartet, »dass man mich hier mit Gastgeschenken empfängt«. Aber der »geachtete und respektierte Bevollmächtigte« sank »zum Nobody« ab, zwischen Staatsanwalt und Nachrichtendienst hin- und hergeschubst. Die alten Vertragspartner, »Persönlichkeiten, die mich faszinierten«, schwiegen. Das ließ nur den Schluss zu, sie hielten den Wust von Verdächtigungen nicht für abwegig, was Schalcks bedrängende Empfindung von Verlassenheit verstärkte. Zuvor hofierte Bonn den »mit allen Vollmachten« ausstaffierten Emissär, eine beredt-weltläufige Gegenfigur zum blutleeren Honecker. Bei Transitproblemen, Staatsbesuchen, humanitären Fragen oder dem berühmten Milliardenkredit lief nichts ohne Schalck. »Dass hier niemand mehr mit mir reden wollte, tat schon weh.«
Durfte er sich bis zum Absturz nicht mit seiner Vertrautheit zu Franz Josef Strauß schmeicheln? »Ich traf ihn 30-mal.« Die Geschichte zweier Gschaftlhuber von Gewicht ist noch nicht geschrieben. In steifer Würde, mit scharfem Scheitel und Pomade im Haar, zeigen einschlägige Bilder den SEDler bei der Mission. Er trägt eine Sonnenbrille, die ihm etwas Suspektes gibt. Die Ordnung drüben sei streng gewesen. Von oben habe es geheißen: »Wirst du aufgespürt von der bundesdeutschen Presse, bist du als Unterhändler wertlos.« Daher die Tarnung.
Nur für diskrete Treffs trat der Schattenmann aus der Kulisse. So »intensiv« konferierte er in Stuttgart mit Lothar Späth, dass ihm die schwäbische Speisefolge entfiel. Waigel und Streibl, Jenninger und Seiters steckten mit ihm die Köpfe zusammen. 21 Termine mit Wolfgang Schäuble sind verbürgt, für Schalck »ein Mensch mit wenig Gefühlswelt, aber einer der wenigen Visionäre«. Es gab 150 Kontakte mit dem Ständigen Vertreter Günter Gaus. Bei Berlins Wirtschaftssenator Karl König »gehörte ich fast zur Familie«.
Der Ein-Meter-neunzig-Mann ist verletzlicher, als er aussieht. Sein Gesicht ein stummer Appell um Verständnis. Er neigt dazu, in Gefühlen zu
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