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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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ertrinken oder in ironieverkleidete Traurigkeit zu flüchten. So wenn er seine West-Vertrauten attackiert: »Vorher hat von denen keener gesagt: Honecker, den kannste behalten, schick uns mal ’nen anderen her.« Besonders denke er da an Schäuble. Gerade noch, dass der CDUler sich schriftlich für eine Postkarte bedankte. Der Rest war Schweigen. Auch bei Helmut Schmidt, der ihm noch ’85 in der Dresdner Oper ein herzliches »Grüß Gott, Herr Schalck« entbot. Günter Gaus habe ihm bloß den wohlfeilen Rat mit auf den Weg gegeben: »Machen Sie keine Dummheiten.«
    Sosehr sich Schalck um Lakonie bemüht, es gelingt ihm nicht,die Gekränktheit zu überspielen. Ehefrau Sigrid erklärt die anhaltende Enttäuschung damit, ihr Gatte schenke nur zögernd Vertrauen, handle aber »sehr personenbezogen«. Gemeint ist damit wohl seine Autoritätsfixierung. Klein-Alex wuchs vaterlos auf, suchte nach Ersatz, fand Halt und Orientierung bei Vorbildern, der Anerkennung und des Zuspruchs durch diese Überväter bedürftig, mochten sie Honecker oder, im anderen Extrem, Strauß heißen.
    Erinnerung hat ihre eigenen Gesetze. Schalcks Reden ist auch ein Ringen mit den Stimmen der Vergangenheit. Beim Gespräch erhebt er sich, holt Bücher von Hans Modrow, Markus Wolf, Lothar de Maiziere, zitiert freundliche Widmungen an seine Adresse. Sonst sitzt die graue Eminenz da, verändert kaum die Haltung, davon abgesehen, dass sie die schön gemusterte Krawatte an der Knopfleiste des Hemdes ausrichtet: Vor uns sitzt ein melancholischer Chronist seiner selbst. Von der Eckbank korrigiert Frau Schalck diskret manches Detail. Der Gatte bittet recht sehr, es nicht zu doll zu treiben, damit der Gast keinen schlechten Eindruck von seinem Gedächtnis bekomme. Auf sein Erinnerungsvermögen ist er stolz.
    Dichte Hecken, rückwärtig liegender Eingang, geschmiedete Fenstergitter – das Rottacher Ambiente suggeriert: Hier will einer seine Ruhe haben. Das Dasein der Schalcks dort hat etwas Provisorisches; Haus samt Möbel sind gemietet. Sind sie im neuen Deutschland noch nicht recht angekommen? Ihn, den gebürtigen Berliner, zöge es an die Spree. »Was halten Sie von der Idee?« Seine Frau ist skeptisch, fürchtet, in den alten Zirkeln würde nur das zersprungene DDR-Bild rekonstruiert und aufgewühlt, wer wann welche Fehler zum Untergang von Honecker-Land beging. Wir schieben die Frage ein, was der ZKler heute täte, wäre die DDR nicht verschwunden? Frau Sigridkommt ihm mit der Antwort zuvor: »Du würdest auch an deinem Sessel kleben!«
    Der Eindruck, die beiden lebten in einer Art ländlichem Exil, ist nicht ganz falsch. Frau Schalck wird ihr »Leben lang nicht vergessen«, wie sie Anfang ’90 unter dem Geburtsnamen Gutmann im Westen ein Domizil suchte, nachdem sich im Osten kollektives Rachebedürfnis auf ihren Mann richtete. Von Panik erfasst, flohen sie »mit richtiger Lebensangst«. Danach ließ sich der Außenhändler durch den Bundesnachrichtendienst (BND) auf einer Skihütte in Bayern »befragen«, folgte dessen Empfehlung, in einem für Versteckspiele geeigneten Feriengebiet zu bleiben.
    Bedenkt Schalck zuweilen, wohin ihn die Achterbahn des Lebens verschlug, kann der Eindruck des Absurden nicht fremd sein. Hans-Hermann Tiedje, Ex-»Bild«-Chef und Kohl-Intimus, berät ihn, der frühere Springer-Vorstand Peter Tamm ist sein »verlässlicher Ratgeber«. In Bayern lernte Schalck Schafkopf, die Krise der lokalen »Oberlandbahn« ist ihm geläufig. Mit dem Konditor versteht er sich, er alarmiert bei anrückenden Kameratrupps. Manch eingefleischter CSUler traute sich in die sogenannte Höhle des Kommunisten. Sonntags trifft man sich mit Bekannten zum gemeinsamen Essen. Frau Sigrid hätte gleich im Kirchenchor mitsingen dürfen. Oft grübelt der Ex-Genosse, warum ihm die Nachbarn dermaßen gewogen sind, und führt die freundliche Aufnahme »auf meinen Strauß-Bonus« zurück. Zu ihren wesentlichen Erfahrungen beim Klassenfeind gehört »die Toleranz, die wir kennenlernten«. Sie half in depressiven Phasen, die er nicht verschweigt. Rühmt Schalck die sprichwörtliche »liberalitas bavariae«, kommt er im gleichen Atemzug auf fundamentale Irrtümer der DDR-Führung zu sprechen: »Wir glaubten, es gäbe eine 99-prozentige Zustimmung zu den gesellschaftlichenVerhältnissen.« Ebenso fatal: »Wir haben die Menschen in Schwarz und Weiß eingeteilt.«
    Der Dr. jur. hatte viel Zeit, über sich nachzudenken. Schonungslos gesteht er, wie gern er sich auf

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