Die Stasi Lebt
erste Bürgerpflicht ist Arbeit.« Dann: »Die Handschrift ist die Visitenkarte.« In jugendlicher Unsicherheit orientierte sich der Stift an solchen Merksätzen. Kaum lieferte er mit einer »Briefwaage in Messing« sein Gesellenstück, steigt er zum »Sachbearbeiter für Werben und Messen« auf, »mit edlem Gehalt von 460 Mark monatlich«. »Das war der Klick« zur Kaufmanns-Laufbahn.
Eine DDR-Wunschbiographie: Der Bub startet als Arbeitsbursche beim Bäcker, darf später Ökonomie und Jura studieren. Der Aufstieg aus kleinen Verhältnissen schloss Dankesschuld gegenüber der allein selig machenden Partei ein, mochten damit verbundene Ideale längst pervertiert sein. Sentimentalität war eine der Wurzeln seiner politischen Orientierung. Die frühe Prägung durch das SED-Milieu tat ein Übriges, ihn zum Parteisoldaten zu machen. Tiefe, innere Verbundenheit erklärt eine bestimmte Betriebsblindheit, die ihn im Dienste des Sozialismus zu latentem Wunschdenken und Schönfärberei verleitethaben dürfte. Obwohl der Ökonom der Bilanz entnahm, welch poröses Universum er vertrat, handelte er linientreu, glaubte, »dass wir immer wieder Lösungen finden können an der Seite der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder«. Die letzte Politbürositzung sah ihn heulend, aus Selbstmitleid oder was auch immer.
Ob seine Existenz einen Sinn hatte? Von der bleichen Mutter DDR blieb ja nichts. Alexander Schalck zögert keine Sekunde: »Ich hatte ein sinnvolles Leben. Bin aber um eine Illusion ärmer.« Und fährt tapfer fort: »Ick habe keenen Grund zum Jammern.« Wie alle Apparatschiks bezieht er reduzierte Rente, verdingt sich als Berater für Geschäfte mit China. Der Mann mit Vergangenheit ringt um den Platz in der Geschichte, seine angekündigten Memoiren sind ein Bewältigungsversuch. Nichts ist bezeichnender für seinen ruinierten Ruf als der sofortige Protest diverser Autoren beim Rowohlt Verlag gegen die Publikation. Er ahnt: Die Erinnerungen dürften das heillose Image nicht grundsätzlich verbessern. Zu viele Storys kursieren über den Widersprüchlichen, als dass das Misstrauen mit Selbstreflexion aus der Welt zu schaffen wäre. Macht just der mit seinem Namen verbundene Argwohn das Werk zum Bestseller? Hin- und hergerissen hofft der Autor, das Buch bringe eine Veränderung der Ansichten über ihn. Aber der Tenor bleibe vermutlich. Einmal Bösewicht, immer Bösewicht? Schalck schließt elegisch: »Damit gehst du zum Friedhof.«
Der amerikanische Freund
Die Rekonstruktion eines geheimen Lebens
Sein Deckname war Kid. Er war US-Soldat – und ein Ass der DDR-Spionage. Nach der Wende holten sich die Amerikaner den geflohenen Verräter zurück. Auf deutsche Gesetze pfiffen die Greifer, die ihn entführten. 38 Jahre soll Jeffrey M. Carney in US-Militärhaft büßen.
Die letzte Reise in Freiheit führte Jens Karney auf ein Schlachtfeld. Der Berliner kurvte mit dem roten Lada Richtung Luxemburg und Frankreich, erkundete unterwegs die Landschaft der Ardennenoffensive. Während der dreiwöchigen Tour im einst von der DDR-Staatssicherheit spendierten Auto bezogen daheim in der Pintschstraße 12 seine Häscher Position.
Verräter aus Reihen der Stasi wiesen Fahndern des Air-Force-Abwehrdienstes (Kürzel OSI) den Weg zum Altbau in Fried-richshain. Sie enthüllten: Hinter Jens Karney verbarg sich in Wahrheit der frühere US-Sergeant Jeffrey Martin Carney. Unter dem Decknamen Kid spionierte er bis zur Wende für die DDR. Samstag, den 20. April 1991, kam Karney alias Carney aus den Ferien nach Berlin zurück. Montag früh, kurz nach 9 Uhr, schlugen die OSI-Agenten zu.
Die auffälligen Tätowierungen bewiesen es: Sie hatten den weltweit Gesuchten gefasst. Bewaffnete Greifer identifizierten ihn am schwarzen Panther auf dem rechten, einem Adler auf dem linken Oberarm. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion flog man Kid von Tempelhof über Frankfurt in die Staaten aus – heimlich,ohne die zuständigen deutschen Stellen zu informieren. Ein Militärgericht verurteilte den Spion kurz darauf zu 38 Jahren Haft, die er in Fort Leavenworth (Kansas) absitzt – Carney ist einer der drei am härtesten bestraften Stasi-Helfer. Seine Story liegt weitgehend im Dunkeln und wird hier erstmals anhand der Akten rekonstruiert.
Der Funkaufklärer lieferte seit seiner Stationierung in West-berlin 1983 Dokumente an die »Hauptabteilung Aufklärung«, HVA, über 100 an der Zahl. Als Angehöriger der »6912th Electronic Security Group« in
Weitere Kostenlose Bücher