Die Stasi Lebt
Berichte aus Bonn auf Lux’ Schreibtisch. Nebenfragen wurden zu Hauptfragen hochgepuscht. Die SED-Spitze sei »ganz geil« auf jede Reaktion zu Parteitagen gewesen, berichtet der Empfänger. Wie reagiert der Kanzler auf den Tod des sowjetischen Staatschefs Tschernenko? Was soll es bedeuten, dass im Kanzleramt jemand um 23 Uhr telefonierte? »Das war dort nicht üblich.« War Kohl gut drauf, als er Eberhard Diepgen durchs Telefon »eine Watschen gab«, nachdem der sich zur Bundespolitik geäußert hatte? Banal genug, brachte die Sammelwut keinen Sieg des Proletariats, sondern bloß Papierstau. Das Kopier-Problem (der Toner musste im Westen beschafft werden) blieb im Sozialismus ungelöst. Keine Geheimdienst-Story ohne effektvolle Auflösung. Der gepriesene Kohl-Mann Peter Lux lief zum Bundesamt für Verfassungsschutz, BfV, in Köln über. Sinnigerweise »beschwatzte« ihn 1990 sein Ex-Vorgesetzter Major T. zum Treff mit dem BfV im Berliner Hotel Schweizerhof. T., eine schillernde Wende-Gestalt,hatte sich bereits dem Hauptfeind angedient. Ausgerechnet. Der Zögling von Männchen hatte Lux zuvor den begehrten Abteilungsleiter-Posten weggeschnappt. Lux ist ihm in herzlicher Abneigung verbunden, aber im undurchschaubaren Charakter verwandt.
Major T. studierte Philosophie, ehe er als Militärspezialist bei den Abhörern reüssierte. Beim Ausschnüffeln der Nato-Übung »Wintex 85« erwarb er sich Meriten. Da ignorierte man seine aktenkundigen »Erscheinungen der Selbstüberschätzung«. T. überließ sein Stasi-Wissen in Form von über 500 Personendossiers dem Münchner Landesamt für Verfassungsschutz. Darunter Ausarbeitungen über Bonner Polit-Prominenz, vermutlich auch über Kohl.
In der Szene kursiert das Gerücht, Lux habe gleichfalls in den Dokumentenschrank gegriffen. Zuletzt war er von der Stasi abkommandiert nach Johannisthal, einer Lagerstätte für brisante Papiere. Sein Blick verfinstert sich: Er habe keine Ahnung, wer mit Akten handelte: »Ich jedenfalls nicht.« Das BfV habe ihm auch keine 100 000 Mark bezahlt, wie behauptet wurde. »Quatsch, das können Sie alles vergessen!«
Der lange Abend mit Peter Lux ist zu Ende. Er geht, die Nacht verschluckt ihn. Von hinten sieht der feine Herr wie ein Referent Helmut Kohls aus.
Der stramme Max
Rudolf Maerker, SPD, und Oberst Kurt Gailat, Stasi – das Leben zweier Spitzel
Zwanzig Jahre lang war er Chef der Bonner SPD. Erst nach seinem Tod kam heraus, dass Rudolf Maerker ebenso lang für die DDR spionierte. Seine Biographie ist verwoben mit der Karriere eines mächtigen Stasi-Manns: des geheimnisvollen Oberst Kurt Gailat.
Die SPD hatte einen Kameraden. Einen besseren findst du nicht. Hoch klang das Lied vom braven Parteisoldaten bei der Beerdigung des langjährigen Bonner Unterbezirksvorsitzenden Rudolf Maerker auf dem Friedhof Beuel: Ein »Kämpfer für den Frieden und für die Aussöhnung zwischen den Völkern« werde zu Grabe getragen. Ein »aufrechter und unermüdlicher Sozialdemokrat«, stand in der von Hans-Jochen Vogel unterzeichneten Traueranzeige. Dem verdienten »Genossen Rudi« setzte die SPD ein Denkmal, benannte per einstimmigem Beschluss vom Oktober 1989 die örtliche Zentrale offiziell nach ihm: »Rudolf-Maerker-Haus«.
An dem hellen Backsteinbau in der Clemens-August-Straße sucht man das Namensschild vergeblich. Der heutige Bonner SPD-Chef Ulrich Kelber meint, es fehle seit Jahren, vielleicht seit der Renovierung. Das trifft sich gut. Die Sozis dort lassen sich ungern an den Ende 1987 Verstorbenen erinnern, nachdem der »Tagesspiegel« berichtet hatte, wer sich hinter Maerker verbarg: der ungeheuer produktive Spitzel »Max« der DDR-Staatssicherheit.Am Empfang leuchtet der Wimpel mit dem Motto »Einigkeit macht stark«. Der Mitarbeiter ist geradezu erleichtert, Maerker persönlich nicht gekannt zu haben. Er wisse nichts.
In ihrem Heimatverein erforscht niemand das bizarre Doppelleben der prägenden Figur. Auch die Bundes-SPD verdrängt das Kapitel, obwohl die Partei für die Stasi gläsern war, von München bis Kiel mit Agenten durchdrungen. Im Fall Maerker haben die Sozis Berührungsangst vor einem ungewohnten Bild: Rudi Maerker, ihr Weggefährte, nun Hauptdarsteller eines deutsch-deutschen Spionage-Thrillers. Man tut so, als handelte es sich weniger um einen gerichtsnotorischen Abgrund von Verrat als um Gerüchte, und übt sich im Abwiegeln. Kelber will jetzt, immerhin, über eine Vorlage mit dem Satz entscheiden lassen: »Das
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