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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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imperialistischer Geheimdienste erkannt« wurden.
    Die »Zentrale Auswertung« handelte mit heißer Ware. Laut »Geheimer Verschlusssache 308« ist die Abteilung 1 gehalten, »sich auf die Erarbeitung von Spitzeninformationen aus den Führungszentren der Politik … zu konzentrieren« und »ständig zu aktualisieren«, damit »jegliche Überraschung durch den Gegner« zu verhindern. »Authentisches« sollte aufgefangen, mitgeschnitten und protokolliert, Brisantes »Sofort« übermittelt werden. Folglich jagte die III jeden Halbsatz Kohls zur Ostpolitik als »Einser-Meldung« vorrangig Richtung Mielke und Politbüro. Eine Aufgabe für »schöpferisch denkende Menschen«, wie der monatlich mit 4312 Mark netto honorierte klassenlose Großverdiener Männchen schwallte. Denn: »Der schöpferischdenkende Mensch ist auch in unserem elektronischen Kampf die Hauptproduktivkraft.«
    Lux arbeitete im vierten Stock der Köpenicker Straße 325 b in Berlin. Eine labyrinthische Welt, in der es keine Nacht und keinen Tag gab, nur pausenlos ratternde volkseigene Fernschreiber. Draußen stand zur Tarnung »Institut für Technische Unterstützung«, drinnen durften Unbefugte laut Anweisung III/04/85 keinen Schritt ohne Bewachung tun. Im Geheimbezirk war sogar »das Führen von dienstlichen Gesprächen sowie das Zurufen im Freigelände … verboten«. In seiner seltsamen Papierexistenz las der Analytiker die »Frankfurter Rundschau« und den »Spiegel«, war via Äther mit dem nahen fernen Westen verbunden. Eine Aufgabe nicht ohne Reiz, wie er einräumt: »Mit Zugang zu Informationen, die kein anderer hatte.« Herrn Lux’ Gewerbe beförderte die Illusion von Bedeutung. Obwohl niemand von ihnen je den schönen Rhein sah, kannten sie Bonn intim. Wenn man so will, hatte Kohl bei denen mit den großen Ohren über viele Jahre seine treuesten Begleiter. Die drüben hörten aufs Wort.
    Der Ex-Hauptmann ähnelt dem Kind, das die Augen in der paradoxen Hoffnung schließt, es würde dann auch nicht gesehen. Beim Abnabeln von der großen Mutter Stasi ignorierte er die vielen Storys über seine Firma: »Ich lese das nicht.« Die Kontakte zum Gestern sind abgebrochen. Gleich einem unheimlichen Geheimnis verschweigt er das Kapitel im Bekanntenkreis. Wie früher. Der Schatten ließ sich damit nicht abschütteln, immer lebt Lux hinter makellos-bürgerlicher Fassade in der Angst, die Mitgliedschaft in der kriminellen Abhör-Vereinigung werde ihn irgendwann einholen.
    Erfolgreich stürzte sich Lux in das neue Leben. Bei der Mutation zum Makler profitierte er vielleicht davon, dass er den Westenzumindest theoretisch wie seine Hosentasche kannte. Stasi-Begleiter hätten ihm unter den alten Vorzeichen eine SED-Karriere zugetraut, ähnlich der seines Vaters. Die Rolle des alerten Geschäftsmanns zu übernehmen war eine erstaunliche Übersprungshandlung, der kapitalistische Job eine Flucht vor der Vergangenheit. Einmal besprechen wir am Telefon Details seiner Stasi-Karriere und hören, wie er tief Zigarettenrauch inhaliert: Pfffft. Es fehlt nicht viel, und er kichert: Soll ich das sein, dieser »entwicklungsfähig« gepriesene Kader, »langfristig auf Übernahme von Leitungsfunktionen vorbereitet«?
    Leute seinesgleichen schütten Fremden nicht ihr Herz aus. Der Arbeitersohn ist ein besonders sprödes Exemplar. Bei jeder zweiten Frage weicht der Verunsicherte aus, erklärt, er habe dies und jenes vergessen, keine Einzelheit parat. Oft sagt er: »Ich würde Ihnen ja helfen, wenn ich es könnte.« Überhaupt: »So sensationell war das Geschäft nicht.« Dann endlich rückt der große Verdränger mit Fakten heraus.
    Wie war das mit Kohl und seinem allseits von der Stasi penetrierten Regierungsapparat? »Das hat mich die Bundesanwaltschaft auch 1000 Mal gefragt.« Was die Zielperson Nummer 1 angeht, müsse er die Erwartung dämpfen: »Kohl ist nicht jeden Tag auf der Uhr gewesen.« Der Profi war am Telefon vorsichtig, benutzte Sprachverschleierer. »Das war ein Problem.« Trotzdem: Man habe »75 bis 100 Telefone« im Kanzleramt abgehört. »Das dürfte die Größenordnung gewesen sein.« Den Dicken selbst habe man »vielleicht durchschnittlich alle 14 Tage im Originalton« eingefangen. Wochenlang habe man Kohl gar nicht gehabt, dann wieder in kürzeren Intervallen. Hochgerechnet kommt er für den Bereich Kanzleramt »auf zwei bis drei Gespräche am Tag«. Das machte im Wortlaut ausgeschrieben im Schnitt je vier Seiten Material. Seine überschlägige Schätzung

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