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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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sind Informationen, in denen es um Kohl ging oder Kohl selbst sprach, über seinen Schreibtisch gegangen.« Der Befehl 6336 bestimmt Lux 1984 zum »Referatsleiter 1, Politik«. Sein Sachgebiet dominierte die tägliche »Lagebesprechung« bei Oberst Kahnt morgens um neun. Eine harte Stunde für den Stressraucher, Kahnt war militanter Zigarettengegner. Die Runde lamentierte gern über Schreibfehler in Abhörprotokollen. Hernach zog der Chef seinen wichtigen Helfer ins vertrauliche Gespräch. Konkurrierende Genossen registrierten es mit gemischten Gefühlen.
    Kraft Amtes unterschrieb Lux »Streng geheim!« gestempelte Zielkontrollaufträge. Sein Kürzel steht auch auf dem Befehl für den Lauschangriff gegen Kohls Büroleiterin Juliane Weber, Datum: 9. August 1984. Konkret ging es um ihren Privatanschluss 0228-325673, die Amtsnummer 56-2002 überwachte man ohnehin. »Informationsbedarf«: »Hinweise zur Gestaltung der Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik gegenüber der DDR …« sowie »Hinweise zu internen Vorgängen im Bundeskanzleramt«. Ferner wollten die Abhörer »kompromittierende Fakten« erhaschen. Die Order ging an die 48 Abhör-Stützpunkte, nach Netzow oder Rhinow, die rund um die Uhr jeden Schnaufer der BRD-Regierung für die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) aufzeichneten.
    Rückfragen erreichten Lux im Mielke-Imperium unter der Nummer 68045. Später teilte sich der Offizier mit dem gleichfalls erprobten Kohlianer Uwe B. das Telefon 66120. Es habe auch Major T., den Kollegen M. oder die Mitarbeiterin H. gegeben. Mit ihrer Erwähnung wehrt Lux das heute als zweifelhaftempfundene Kompliment ab, unter den handverlesenen Spezialisten der Linie III ein Monopol auf Kohl gehabt zu haben: »Das wird übertrieben dargestellt.« Gutsituiert in einer westdeutschen Stadt lebend, möchte er verständlicherweise nicht mehr sein, was er einmal war. Als wir ihn nach monatelanger Recherche endlich finden, verhaspelt sich Lux bei der Frage, ob er mit dem Gesuchten identisch sei. Die optische Ummodelung wäre eine perfekte Tarnung, zitterten ihm beim Gespräch nicht die Finger. Er spricht gepresst. Unterm Tisch zuckt er mit dem rechten Bein, als plage ihn stechender Schmerz. Sein körperliches Unbehagen wird sichtbar bei jeder Frage nach der heldenhaften Stasi-Zeit.
    Im Konspirativen ist Lux Tschekist geblieben: Der Treff läuft ab wie im Film Noir, wo man an ein Hotel dirigiert wird und sich die Beine in den Bauch steht, bis der Umrätselte kommt. Zur Geschichte der merkwürdigen Begegnung gehört seine Bedingung, im Artikel unter Pseudonym zu erscheinen. Daher heißt er hier Lux. Er hatte beim MfS viele Namensvettern. Deshalb hängten ihm Genossen den Zusatz »der kleine« an. Sonderlich beliebt sei er trotz des niedlichen Zusatzes nicht gewesen, wird erzählt.
    Der gelernte Werkzeugmacher vom »VEB 7. Oktober« beginnt Ende ’74 als Soldat bei der »Diensteinheit des funkelektronischen Kampfes«, Verdienst: 300 Mark monatlich. Ein Jahr später paraphiert Lux mit energischer Handschrift die MfS»Verpflichtung« und schwört, die »ehrenvollen« Aufgaben zu erfüllen. Er dient auf dem mit neun Parabolspiegeln bestückten Horchposten Biesenthal, sammelt Punkte: »Auch in der Hörausbildung erreicht er ein teilweise über den geforderten Normen liegendes Ergebnis.« Abgezeichnet: »Männchen«, der spätere Generalmajor, Alleinherrscher über die 2400 Kräfte starkeTruppe. Lux qualifiziert sich parallel zum »Fachschuljuristen«, durchläuft die Kreisschule Marxismus-Leninismus und hätte, wäre die DDR nicht verblichen, die Hochschule für Staats- und Rechtswissenschaft absolviert.
    Heute entwickelt Peter Lux eine Menge Phantasie, um die eigene Bedeutung abzuschwächen. Als sei ein Doppelgänger gemeint, der in seiner 280-seitigen Stasi-Akte für »hartnäckige Einflussnahme auf sein Kollektiv« Lob erhielt, »hohe Einsatzbereitschaft an den Tag« legte, »Vorbild in der gesamten Abteilung« genannt wurde. Er lebe vor, heißt es, »dass persönliche Interessen der Lösung der politisch-operativen Aufgaben unterzuordnen sind«. Am 21. August 1984 gefällt Leiter Kahnt an Lux der »Drang nach der Suche des Feindes bzw. feindlicher Angriffe in den Materialien«. 1989 erhält der Überzeugungstäter die DDR-Verdienstmedaille: »In unserer Abteilung die absolute Ausnahme«, berichten Kollegen. In der Begründung steht, Lux sei es maßgeblich zu verdanken gewesen, »dass zahlreiche Agenturen und neuartige Vorgehensweisen

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