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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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ergibt fürden Zeitraum 1982 (Dienstantritt Kohls) bis 1989 (Dienstende DDR) über 19 000 Seiten Protokolle. »Schreiben Sie bitte, ungefähr!« Wo die brisanten Dokumente abgeblieben sind, ist die große Preisfrage dieser Tage.
    Unvergesslich, wie er den Schwarzen Riesen selbst in der Leitung hatte. »Ende Oktober, Anfang November 89« sei das Gespräch reingekommen. Helmut Kohl gratulierte Egon Krenz zur Wahl als neuer SED-Generalsekretär, sie redeten über eine Währungs- und Wirtschaftsunion. Die Auswerter litten unter der Endzeitstimmung: »Es war der krönende Abschluss. Dann wurden die Bücher geschlossen.«
    Generell zählte bei der HA III nur das gesprochene Wort: Mielke und Wolf konnten davon nie genug kriegen. Im November 89 standen 100 000 Anschlüsse in Westdeutschland unter Zielkontrolle. Rufnummer-Selektierungsanlagen zeichneten gleichzeitig 5000 Kommunikationen auf – eine gigantische, groteske, alles verschlingende Maschine, angetrieben von irren SED-Allmachtsphantasien. Seit September 1988, so ein unveröffentlichtes Dossier, waren die Autotelefone »sämtlicher Mitglieder der damaligen Bundesregierung« für die Stasi offen. Ausnahme: die Minister Süssmuth, Wilms und Schneider. Ebenso hing man beim Bundespräsidenten an der Strippe. Automatisch sprangen die Erkennungsrechner bei der Kanzleramts-Eingangswahl 0228-56-0 an. Man hörte und hörte und hoffte auf den historischen Triumph des Marxismus. Aber statt in die Knie zu gehen, telefonierte der rundum bespitzelte Feind munter weiter.
    Topsecret-Befehle (hier erstmals zitiert), verlangten von den Abhörern jährlich rund 55 000 »Sofort-, Einzel- und Ergänzungsinformationen«, im Plansoll standen »480 Berichte und Analysen« sowie »250 Dossiers«. »Nach Bundestagswahlen« sollten die Abhörer »für Bewertungen zu neuen Funktionsträgerndes BRD-Staatsapparates« Fakten beisteuern. Eigens mussten sie ermitteln, ob die Bonner »Schwierigkeiten beim Voranschreiten, gewisse Mängel und Schwächen«, kurz: die desolate DDR-Lage für das Vorgehen gegen Ostberlin »auszunutzen« versuchten. »Konzeptionelle Vorstellungen der Bundesregierung für Gespräche … mit DDR-Repräsentanten« waren dringlich zu erlauschen, in wörtlicher Wiedergabe binnen drei Stunden der HVA vorzulegen. Flächendeckend verfolgte man Ministerin Wilms, Kohls Frau für Innerdeutsche Beziehungen. In ihrem Ressort unterlagen Sekretärinnen, Fahrer oder der für Häftlingsfreikauf zuständige Mitarbeiter Plewa dem elektronischen Zugriff.
    Der Genosse Hauptmann kannte jeden Bonner, der etwas zu sagen hatte. Verteidigungsminister Manfred Wörner erhält die Bestnote: »Der hatte eine ganz klare Sprache.« Auch Wolfgang Schäuble, Amtsruf 56-2030, fand Lux »sympathisch«. Hingegen kam von Norbert Blüm »auch bloß Blabla«. Dank der Aktion »Trennlinie 5« schöpfte man Alfred Dreggers Telefonate »mit allen politischen Führungsebenen« ab. »Der quatschte ohne Ende.« Franz Josef Strauß? »War ein Plappermaul!« Ihn hatte der Stützpunkt »Topas« (Polednik/ČSSR) am Rohr. Sein Dialekt war »oft unverständlich«. Zum Eindeutschen schickte man die Offiziere N. und Sch. in die Tschechoslowakei.
    Der absolute Ohrengraus trug den Namen Waldemar Schreckenberger: »Eine Plaudertasche ohne Ende.« Lux tippte bei Kohls Staatssekretär auf »pathologisches Redebedürfnis«. Viele seiner Gespräche »mit Gott und der Welt« gingen nach West-berlin. Da hätte »Schrecki« gleich direkt bei Mielke durchläuten können. Helmuts Schulkumpel galt als »spannende Figur«, das hieß: ergiebige Quelle. Nicht zu vergessen der wichtigste Helfer Eduard Ackermann, Stasi-Jargon: »alter Ackergaul«. Den »Zielkontrollauftrag«für Anschluss 374190 unterzeichnete Lux; Bearbeitungskategorie 2, Dringlich! Von Kohls Leuten wusste das MfS: »Die sind 100-prozentig auf ihn eingeschworen.« Hatte man die Getreuen aus dem Chor Hunderter Politik-Stimmen gefischt, war es, als spreche der Große Vorsitzende selbst zu ihnen.
    Besonders gern hörte die »HA III« dem aufstrebenden Horst Teltschik zu, Apparat 56-2200, Auswärtige und innerdeutsche Beziehungen. Er hatte das Ohr des Kanzlers, »intelligent und sinnreich« habe der geredet. Angezapft auch das Sachgebiet »Bundesnachrichtendienst«, Kohls Abteilung 6: Ministerialdirigent Jung, Telefon 2600, die Apparate 2612, 2614, 2620, 2662 der Kollegen Staubwasser, Vollmer, Keck und Radau – »wir kannten sie alle«.
    Alles musste her. Es hagelte pfundweise

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