Die Stasi Lebt
Haus trägt keinen Namen!«, mithin auch den Maerkers nicht mehr. Das wär’s mit der Vergangenheitsbewältigung.
Im Übrigen hoffen die Sozis auf das kurze Gedächtnis der Öffentlichkeit, derweil die Gauck-Behörde immer mehr Material zum Komplex findet: 400 Seiten sind es bereits, aus denen der »Tagesspiegel« hier erstmals zitiert. Das Mitglied des Bezirksvorstands Mittelrhein lieferte demnach Dossiers über Brandt, Ehmke, Engholm, Rau, Vogel und Wischnewski an Markus Wolfs »Hauptverwaltung Aufklärung«, HVA. Blatt für Blatt konkretisiert sich seine tiefe Verstrickung in Stasi-Machenschaften. Gern trug er Baskenmütze und langen Mantel. SPDler spotteten, Maerker sehe aus wie ein Spion. Nicht ahnend, wie recht sie hatten. Sein Deckname ist mit der Nummer XV/1628/68 am 18. Oktober 1968 in der Sira-Datei (einem System zur Informationsrecherche der HVA) verbürgt. Unter »Vorgangsart« heißt es IMB, »Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung«. Maerker schickte »A«-Information, das Kürzel für »zuverlässig«, diehöchste Kategorie. Augenfällig deckt sich seine konspirative Karriere mit der Ära als SPD-Chef in der Bundeshauptstadt von 1967 bis 1986. Eine Kerblochkartei vom 25. April 1967 hält fest, er sei Journalist, arbeite für das »Referat Wiedervereinigung beim Parteivorstand der SPD«. Die Rubrik »Eigenschaften« vermeldet: »tritt selbstherrisch auf«. Maerker bevorzuge »sowjetische Zigaretten und original sowjetischen Wodka«. Später verfeinert er die Tabakware, pafft, so die Akte, »HB«. 1972 porträtiert die Stasi ihren Agenten als »ca. 1,90 cm groß, volles dunkelbraunes Haar nach hinten gekämmt, … Brille mit starken Gläsern, spricht Berliner Dialekt«. Kühn behauptet für den gebürtigen Rheinländer.
Unheilvoll ist seine Biographie mit der des HVA-Obristen Kurt Gailat verflochten, »Max« zählte zu seinen Favoriten. Das hieß einiges, da der Boss der Abteilung II auch für Kanzleramtsspion Günter Guillaume verantwortlich zeichnete. Gailats bis zu 50 Hauptamtliche zählende Truppe betrieb im »Operationsgebiet« BRD »Aufklärung und Bearbeitung der politischen Parteien«, vulgär Ausspähung und Infiltration, befehlsgemäß »tiefgründig und umfassend«. Referat 1 war für die CDU/CSU zuständig, die »6« für »Chaoten«, Grüne, Artverwandte. Die erfolgreichste Crew mit acht Supernasen stellte die »4«, angesetzt auf die SPD, fleißig unterstützt vom dichtgewebten Zuträger-Netz.
Was immer man gegen Gailat vorbringen kann, er verstand sein Geschäft. Spitzname »Genosse Brandt«; den Laden kannte er in allen Verästelungen. Seine als »geheim« eingestufte Doktorarbeit an der Stasi-Hochschule Potsdam enthält einen »Katalog politisch-operativer Maßnahmen zur Herausbildung einer fortschrittlichen Bewegung in der Sozialdemokratie«. Der sicher atemberaubende praktische Teil fehlt im Exemplarder Gauck-Behörde. Auch die Bundesanwaltschaft hätte ihn gern gelesen.
Selbst John le Carré hätte diese wahre Romanfigur nicht besser erfinden können. Beim Meister philosophieren Spione darüber, ob »nicht der Schein die einzige Art des Seins« sei? Gailat ist der lebende Beweis dafür. Am Telefon hat der rätselhafte Mann hinter »Max« eine wachsame Stimme. Man spürt ein Gefühl der Leere bei jemandem, der bessere Tage sah. Doch hört man auch das Behagen über eine klammheimliche Existenz heraus, die ihn zu einem der Besten des Fachs machte. Obwohl am Ende der DDR fast vierzig Jahre auf seiner Strecke aktiv, blieb er für den Klassenfeind eine unbekannte Größe. Heimlich knipst Schwedens Sicherheitspolizei 1978 den als »Dr. Kurt Lenkeit« zum Agententreff nach Stockholm Gereisten an der Seite Wolfs. Gailat verwaltet auf Touren mit ihm die Reisekasse, schildern Insider. Nach der Wende versiegelt er seine Lippen. Momentan ist er krank, würde aber auch gesund nicht mit dem »Tagesspiegel« über die »alten Geschichten« sprechen. »Dazu gebe ich mich nicht her.«
Wenn man in der »Wolfsschanze«, im HVA-Quartier Normannenstraße, »aktive Maßnahmen« plante, schottete »Kurt« seinen »Max« gegen Begehrlichkeiten anderer Abteilungen ab. Die kannten nur das Pseudonym, wussten nicht, wer sich dahinter verbarg. Besonders nach der Festnahme Guillaumes 1974 hütete Gailat den Bonner wie seinen Augapfel, nach Ansicht der Bundesanwaltschaft eine »Spitzenquelle«. Denn Maerker ging in der SPD-Baracke ein und aus, pflegte enge Beziehungen zum Vorstand, hielt Kontakt zu
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