Die Stasi Lebt
Sicherheit? Am Berliner Obersee hat sie einst reihenweise Haus und Grund enteignet. Und hier wohnt Mielkes Elite immer noch. Die wahren Eigentümer müssen bis heute um ihren Besitz kämpfen. Eine Spurensicherung in der Kolonie der Dunkelmänner.
Stumm wie ein Fisch steht Ralf Schindler unter einer Trauerweide am Obersee. Als gelte für den ehemaligen Stasi-Major weiter Verschwiegenheitspflicht, verrät er nur zögerlich, was Mielkes »Sektion Angeln« in dem Gewässer fing: »Barsch, Aal, Giebel, Rotfeder, Gründlinge, die gute alte Plötze.« 17 Zander habe man in den 80ern eingesetzt. Nach der Wende benannten sich die Petrijünger der SG Dynamo flugs in die unverfänglichen »Angelfreunde, Ortsgruppe 1, Hohenschönhausen« um.
Der 67-jährige Schindler trägt eine verspiegelte Sonnenbrille, beantwortet Fragen gern mit knappem »wees ick nich«. Im Verein ist er für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Auf Nachfrage fällt ihm wenigstens ein, ihr langjähriger Boss Helmut Petzold – dessen Dienstrang Oberstleutnant »spielte bei uns keine Rolle« – habe am Obersee einen Rekordhecht von einem Meter 24 erwischt, zwölf bis 16 Kilo schwer, die übliche Runde ausgegeben und den Kopf präpariert. Schindlers dickster Fisch war ein 42 Zentimeter langer Karpfen von zweieinhalb Kilo. Wer ihr Bester gewesen sei? Friedrich Patt, berichtet er und lächelt, so gut er kann, Offizier in Mielkes Protokoll-Abteilung X. Er selbst verdingte sich bei der »Agitation« und fabrizierte Propagandafilme.Seine Angel-Sektion, die laut Statuten in »tiefer Verbundenheit zu unserem sozialistischen Vaterland« und in »Anwendung der Leninschen Methode der Kritik und Selbstkritik« die Rute auswarf, hatte nach den Worten des Ex-Majors 800 Mitglieder, 700 davon MfSler. »Warum wollen Sie det allet wissen?«
Weil die Stasi in der Idylle ziemlich lange im Trüben fischte. Ihr Vereinsheim, »unser Objekt in der Oberseestraße 64«, bauten sie auf widerrechtlich besetztem Gelände. Ein Federstrich genügte im SED-Staat, schon stand »Eigentum des Volkes, Rechtsträger: Ministerium für Staatssicherheit« im Grundbuch. Nicht anders lief es bei den Nummern 66 und 68, auch sie gehörten in Wahrheit der Berliner Familie Starke. Wie Mielkes Truppe mit ihr umsprang, war um den 37 812 Quadratmeter großen Teich herum ein flächendeckender Vorgang: Unter Zwang und Drohung wurden angestammten Besitzern systematisch Parzellen zu lächerlichen Preisen abgepresst, andere in geheimer Kommandosache einfach auf das MfS umgeschrieben. Familie Starke erstritt sich in zehnjährigem Häuserkampf die Flächen zurück. Der Angler-Schaukasten verschwand über die Jahre unter einer blühenden Spierenhecke.
In seinem Kreuzberger Büro beschäftigen den Erben Christiano Starke – Vorsitzender der »Interessengemeinschaft der rechtmäßigen Grundstückseigentümer in Berlin-Hohenschönhausen« – die Stasi-Machenschaften weiter. Nach der Wende wurde er zum Enteignungs-Experten. Anfangs war der Tischler für den juristischen Streit um seine 2925 Quadratmeter Uferstreifen mit nicht mehr gerüstet als dem Willen, »dass die Mutti und ich die Sache einfach nicht aufgeben wollten«. Er hatte am Ende der DDR die Illusion, »wir ziehen sofort nach Hohenschönhausen«. Ein klarer Fall von denkste.
Seine Geschichte ist eine labyrinthische deutsch-deutsche Geschichte. Der Fall katapultierte ihn durch Raum, Zeit und politische Systeme. Der Kampf um die Rückgabe des Familienbesitzes war »der schlimmste Abschnitt in meinem Leben«, genau betrachtet so schlimm wie der Verlust. Es beginnt damit, dass seine Großmutter Martha Haussmann am 1. Oktober 1945 laut Befehl der Roten Armee ihr Haus binnen 15 Minuten räumen musste, »sie durfte nur mitnehmen, was sie allein tragen konnte«, berichtet der Enkel. Besatzer fielen über sie her. Die Russen machten den Obersee zum Sperrgebiet, zogen in die Villen ein. »Omi hat den Verlust nie überwunden.« 1956 nahm sie sich das Leben.
Es ist das Jahr, in dem Christiano mit seinen vor Hitler nach Brasilien geflohenen Eltern nach Berlin zurückkommt. Die Haussmann-Oma harrte bis dahin aus, sie wollte die Tochter Ingeborg noch einmal sehen. Zu der Zeit hatte sich bereits der damalige Stasi-Chef Ernst Wollweber in ihrem noblen Anwesen mit Turmerker breitgemacht. Äpfel und Aprikosen wachsen, Heckenröschen geben dem Besitz etwas Verwunschenes. Es ist auch die Zeit, in der Christianos Mutter ab und an aus Wilmersdorf rüberfährt. Unter
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