Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
Vom Netzwerk:
Zwiebelmuster, Kruzifixe – ein Museum seiner selbst, schon wegen der raren Fotos an der Wand. Die beglaubigen ihm den Rang, der seinem Idealbild entspricht: Schnappschüsse von Barzel im Rahmen, Handschriftliches von Schmidt, eine tolle Aufnahme Wehners, eine mit dem russischen Dissidenten Scharanski. Dem ins Arbeitslager Verbannten verhalf er 1986 in einem bizarren Tauschgeschäft zur Freiheit. Wäre der Jurist nicht ohnehin von seiner Bedeutung erfüllt gewesen, die hochkomplizierte Übergabe in Berlin hätte ihm seinen Retter-Status bescheinigt. Gerührt spricht Vogel von dem Regimekritiker, der beschwingt über den Ost und West scheidenden Mittelstrich der Glienicker Brücke hüpfte.
    Vielleicht rächte sich nach der Wende an Vogel, stets die Sphinx aus Friedrichsfelde geblieben zu sein. Eine Unschärferelation war geradezu Bedingung des Amtes, »dieses Geschäft verträgt kein Geschrei«. Einer seiner drei Tageskalender hütete ausschließlich »Geheimes«. So musste es sein in Herrn Vogels Gewerbe, seit im August 1964 unter konspirativen Umständen die ersten Busse mit 70 Ausgelösten zum Notaufnahmelager Gießen rollten, darunter Hochbestrafte vom Aufstand des 17. Juni 1953. Laut Vogel mit ein Anlass, »den Freikauf zu intensivieren«. Den Häftlingen muss er als Lichtgestalt erschienen sein, »es war so ruhig, da hörten Sie ’ne Stecknadel fallen«.
    »Vielleicht je fünf Leute« hüben und drüben hätten die Details gekannt, darunter die Minister für Gesamtdeutsche Fragen,Staatssekretär Ludwig Rehlinger und der Westberliner Anwalt Jürgen Stange. Wieder und wieder hätte er, berichtet Vogel, Entlassenen ins Gewissen geredet: »Sie haben in Karl-Marx-Stadt fragende Augen hinterlassen.« Wenn sie denen helfen wollten, mögen sie schweigen über das kleine Wunder, das ihnen widerfahren war. So sei seine Rede gewesen. »Ich wusste ja, was auf dem Spiel stand.« Kaum dass das Geschäft mit dem »Pankow-Regime« ruchbar wurde, kritisierten Medien den »schrecklichen Sklavenhandel«.
    Mag sein, Vogel bringt heute die eigene Geschichte auf einen Stand, der sich besser deckt mit den Erfordernissen des wiedervereinigten Landes. Er würde gern als Lotse gesehen, der tapfer allen an ihn herangetragenen Versuchungen auswich. So wahr ist, dass Honecker auf seine Gefolgschaft zählte (und der Anwalt geschmeichelt Orden und Würden annahm), es ist auch wahr, der Paradiesvogel hat ein Helfersyndrom, ein starkes Bedürfnis zum Aussöhnen. Fast wäre der deutsch-deutsche Missionar ja Priester geworden. Flüchten wäre für ihn oft leichter gewesen, als standzuhalten für eine Sache, bei der sich hinter jeder Häftlingsnummer Angst, Elend, Verlorenheit verbarg. Über die Jahre sah er mehr Verzweiflung bei Eingesperrten, mehr Freudentränen bei Entlassenen, als einem einzigen Leben erträglich ist. Der sendungsbewusste Sohn eines Dorfschullehrers aus Niederschlesien war für das Grenzgängerische prädestiniert. Hier die Klassenjustiz, da sein streng katholischer Glaube. Honeckers »persönlicher Beauftragter« in humanitären Angelegenheiten zählte zur Machtelite des atheistischen Staates, überlegte jedoch keine Sekunde, der Kirche abzuschwören. Bei der Trauung ließ er das Ave-Maria erschallen. Wahrscheinlich suchte er in der Religion nach einem Sinn, den er jenseits von Eden, im Paradies der Werktätigen, nicht fand.
    Der Pensionär kennt die Argumente rauf und runter, die heute dem Häftlings-Freikauf gelten. »Die Sichtweise«, meint Vogel mäßig begeistert, »wird immer unterschiedlich sein.« Es kursiert sogar die These, das Milliarden-Ding sei die größte Stasi-Verschwörung gewesen, um dem Hauptfeind D-Mark abzupressen, da man wusste, die reichen Vettern aus Dingsda, Bonn, würden aus Gefühlsduselei schon blechen. Er selbst verlegt sich im Für und Wider darauf, »das Urteil wird die Geschichte sprechen«.
    Vogel dankt seinem Herrgott, »ich habe Erfüllung erfahren«. Verbitterung stünde einem Frommen nicht gut zu Gesicht. »Ich bin entschlossen, in der Gegenwart zu leben, das zu nutzen, was mir noch bleibt.« Er pflegt den Stoizismus gemäß Marc Aurels »Selbstbetrachtungen«. Die schenkte ihm Helmut Schmidt beim Besuch in der U-Haft. »Moment, hier ist das Buch«, mit Einmerker auf Seite 177. Da steht: »Wirf die Meinung hinaus, und du bist gerettet! Wer kann dich da hindern, sie hinauszuwerfen.«

In der Kolonie der Dunkelmänner
    Mielkes Elite am Berliner Obersee
     
     
    Wo brachte sich die Stasi in

Weitere Kostenlose Bücher