Die Stasi Lebt
über Menschen.« Besuchte er ihn in der Godesberger Adresse Am Heidehof, legte der Alte Schellackplatten mit schwedischen Arbeiterliedern auf. Beiläufig griff er, schildert Vogel, »in nächtlichen Stunden« zu einer seiner unergründlichen Aktentaschen, »übrigens habe ich da noch ’ne neue Liste«: Aufstellungen mit politischen Gefangenen, welche die Bundesregierung bei der DDR auslösen wollte. Die Kommunisten frönten dabei dem kapitalistischen Motto, »Geld stinkt nicht«, ließen sich Regimegegner zum Stückpreis von zuletzt 95 847 Mark abkaufen. Kopfgeld? Vogel hasst den Begriff.
In jungen Jahren trug er das dichte Haar wellig zurückgelegt. Der Bursche hatte was. Schon 1962 hörte die Welt von ihm raunen, Vogel zog die Fäden beim spektakulären Austausch des von den Sowjets abgeschossenen amerikanischen U2-Piloten Powers gegen den Russen Abel – Spione, die aus der Kälte kamen. Der Deal endete glücklich an einem Februarmorgen auf der Glienicker Brücke, dank ihm, dem geheimen Regisseur des filmreifen Thrillers. Nicht umsonst musste er richtigstellen, »ich bin kein James Bond der DDR«. Das Abenteuerliche seiner Existenz hätteman nie erahnt, in der pathologisierten deutsch-deutschen Realität war er brav mit Attachémappen unterwegs.
Die Bilder der DDR verblassen. Ihr laut damaliger Bestallungsurkunde hoher Repräsentant ist heute eine anachronistische Figur. Sein Aufstieg verdankte sich dem Eisernen Vorhang, zwei Deutschlands mit unversöhnten Brüdern und Schwestern, der kafkaesken SED-Justiz, die Andersdenkende willkürlich einsperrte. Im Wissen um die zementierten Verhältnisse hielt Vogel Reflexionen über die Wiedervereinigung für absurd, Sozialist, der er nach eigenem Bekenntnis war, durchaus mit Treuegefühl der Sache des Marxismus verpflichtet. Sofern ihn andere Gedanken umgetrieben hätten, »bevor es bums machte und die Wende kam«, hätten ihn Russenpanzer, »die ich täglich in Karlshorst sah«, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. »Dass sich zu meiner Lebenszeit was verändert, glaubte ich nie«, insoweit besaß der beim Kanzleramt akkreditierte Mittler eine Jobgarantie, »ich habe die Aufgabe nicht geliebt, aber keine Alternative gesehen«.
Wolfgang Vogel führt das Gespräch mit altmodischer Artigkeit, vorsichtig-abwägend sucht er seine Erinnerungen ab. Steifer, dem Thema geschuldeter Ernst wechselt mit Anekdoten und Hinweisen, er sei weiter zum Schweigen vergattert. Ganz der Unterhändler, steuert er sein Ziel an, lässt sich nie vom Weg abbringen. Argumenten hilfter mit den Händen weiter. Vogel hat die frische Gesichtsfarbe des Wanderers. Auffallend der verbitterte Mund, tief eingegrabene Falten, der melancholische Blick. Vielleicht vom Alter, vielleicht von der Anstrengung des Verdrängens und Taktierens, vom Aussichtslosen, das ihn auf den Formularen »Sprechgenehmigung für Verteidiger« erreichte: »Ich bitte um ihren schleunigen Besuch« stand darauf, er zeigt ein Muster. Im idyllischen Schliersee ist jene sehr nahe Ära sehrfern, in der er 250 000 DDRlern über Todesstreifen hinweg zur Ausreise verhalf oder als internationaler Vermittler 150 inhaftierte Spione aus 23 Ländern rausverhandelte.
Einerseits. Er hatte das Ohr Honeckers. Bis zum Ende blieb Vogel ihm in anhänglichem Sentiment verbunden. Meist sprachen sie im ZK-Gebäude miteinander, zweiter Stock, Büro VII. An der Stirnseite Schreibtisch und Telefone. Auf ein bestimmtes Klingeln habe Honecker gesagt, »an diesen Apparat muss ich!« und russisch in die Muschel gesprochen. Unvergesslich die Schrankwand linker Hand mit verborgenen Tresoren. »Eigenartig«, er verwahrte darin Unterlagen in kleinen Koffern, als reise er bald ab. Honeckers Linie habe »klar und eindeutig« gelautet: »Staatsfeinde raus!« »Er wollte Gegner loswerden, Ruhe auf dem politischen Parkett.« Zum Schluss war der abgemeierte Genosse kurz sein Klient, »ein psychisch Gebrochener, er lebte aus wenig Habseligkeiten«. Im Militärhospital Beelitz bot der seinem Vogel das »Du« an, fragte beim Politisieren über die Wirtschaftsmisere – 15 Jahre Lieferzeit für einen Wartburg – »Warum hast du mir das nicht früher gesagt?« Wolfgang antwortete wahrheitsgemäß, »weil du mich dann rausgeschmissen hättest«. Er wollte von Erich erfahren, »wie war dir zumute, wenn du in Brandenburg am Gefängnis vorbeifuhrst?«
Andererseits. Seine graue Eminenz war eine feste Einflussgröße, Sympathieträger unter volkseigenen Polit-Gestalten,
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