Die Stasi Lebt
öffentlichen Nutzung« etwa für einen Fußpfad aus »sicherheitstechnischen Erfordernissen« abgelehnt wurde. In der Tabuzone kassierte sie 16 der 17 attraktiven Seegrundstücke. Eine Geheimliste der »Verwaltung Rückwärtige Dienste« druckte für Hohenschönhausen 150 ihrer »inoffiziellen Objekte« aus, in der Oberseestraße sind es allein 33, oft von den Dunkelmännern für konspirative Treffen genutzt.
Ihr Oberstleutnant Günter Studt schlug 1976 höchst vertraulich mit »sozialistischem Gruß« vor, »gemäß Verteidigungsgesetz« im Gebiet 30 weitere Adressen »in Anspruch zu nehmen« und »Volkseigentum herzustellen«; ein typischer Bedeutungsbetrug, es ging darum, das Volk fernzuhalten. »Komplikationslos«, so Studt, solle man sich des »Verteidigungsgesetzes« bedienen, »Rechte des Einspruches durch die betroffenen Eigentümer bestehen nicht«. Solche sind auch nicht zu erwarten, heißt es zynisch weiter, da die Eigentümer sich nicht um diese Grundstücke bemühten. Ihn wie neun weitere mit Enteignungen befasste Dienstgrade stöberte Starkes Verein in detektivischer Kleinarbeit auf. Studt erklärte, er wolle »damit nichts mehr zu tun haben«. Ein anderer Hauptmann rühmte sich, an einem einzigen Tag 100 Parzellen für ihre Zwecke umgewidmet zu haben. Zur »Wertermittlung« kam der scheinbar unabhängige Sachverständige Herbert P., laut Kaderkartei in Wahrheit Stasi-Genosse.
Dass sie längst nicht mehr Herr im eigenen Haus waren, erfuhren die Starkes nie. Auf höfliche Anfragen nach ihrem Besitz beim Rathaus Pankow – »ich möchte mein Testament machen und wäre Ihnen für eine baldige Auskunft dankbar« – kam vondrüben am 26. Mai 1981 lediglich ein Sechszeiler des Inhalts: »Wir bitten daher, von weiteren Anfragen abzusehen.« Die Antwort machte auch Sinn aus Sicht des MfS, Starkes Prachtbau war auf den Plänen längst ausradiert. Die Oberseestraße 62 bis 68 sollte für den »II. Abschnitt« eines MfS-Neubau-Komplexes fallen, mit Kneipe und Pool zur »qualitativen Erhöhung der Gästebetreuung«: »gedeckte Zu- und Abfahrt«, »dekorative Außenbeleuchung mit Dämmerungsschalter« waren projektiert, eine »Waffenkammer mit Stahltüre und Gitterfenster« vorgesehen.
Des Weiteren ein Bootssteg aus Betonfertigteilen »analog« zu dem der Sektion Angeln. Zuvor hatte Mielke die Nummern 36 bis 48 mit Zweigeschossern bebauen lassen, Grund und Boden der Falkenbergs, wird erzählt, einst Gastronomen im Roten Rathaus. Die Wohnungen wurden laut vertraulicher Anweisung »ausschließlich an hochrangige Stasi-Mitarbeiter« vermietet.
Die heute 92 Jahre alte Ingeborg Starke hütet ihre Obersee-Dokumente in einer abgegriffenen Mappe. Sohn Christiano legt sie auf den Tisch und sagt, schon Omi Haussmann hätte der Prokuristin ihrer Weißenseer Spiralfederfabrik eingebleut, bei Bombenalarm alles stehen und liegen zu lassen, aber diesen Ordner unbedingt zu retten. Darin der Vertrag vom 9. September 1924 über das Areal 66: »Wie es steht und liegt«, ging es für 20 000 Goldmark samt Holz- und Kohlevorräten sowie Gartengeräten an seine Großeltern. Unter den Schätzen eine hübsch kolorierte Skizze der Garage, »schließlich stand da ein Horch drin«, sowie der über 100 Jahre alte Plan des Gebiets, das besonders Aufsteiger des Industriezeitalters anzog.
In der Nachbarschaft wohnte der Fischhändler Wegener, »der den Matjes oder so wat einjeführt hat«, neben dem erfolgreichen Darmhändler, der mit Wurstpelle reich wurde, und Fleischfabrikant Vermander. Seine Oberseestraße 54/56, mit Fahnenmastund Lebensbaumhecke, verwandelte man in »Mielkes Gästehaus«, wegen des belgischen Sandsteins »kalte Pracht« genannt. In der Oberseestraße 60 ließ sich der Drucker Lemke 1932 von Stararchitekt Mies van der Rohe einen sagenhaft en Backstein-Bungalow bauen. Russen und MfS ruinierten den Kubus mit vereinten Kräft en, machten daraus Garage und Wäschekammer, montierten die Schrankwand »Karat«, klebten Linoleum aufs Eichenholzparkett. Nach der Verwüstung blieb 1989 von den Spießern eine Handvoll Silberbesteck mit barockisierender Verzierung aus DDR-Produktion zurück.
Christiano Starke hat die Figur eines Gewichthebers und ordentlich Schmackes, um sich mit Stasi-Seilschaft en, Treuhand, Ämtern und Gerichten anzulegen. In höchst merkwürdiger Koalition verbauten sie seiner Familie den Weg zum Eigentum lang genug. Gleich zur Wende stand er auf der Matte, lief sich die Hacken ab, redete sich einigermaßen
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