Die Stasi Lebt
unerschrocken mit Berliner Schnauze den Mund fusselig. Er schrieb der Angler-Sektion, Antwort kam nie. Starke suchte Verbündete, lud 160 Betroffene zum Mitmachen ein, »alle mit der gleichen Problematik«, von Grund und Boden verjagte Hausbesitzer.
Mutter Starke meldete mit seiner Hilfe ihre Ansprüche beim Magistrat der Stadt Berlin, beim Rat des Stadtbezirks Höhenschönhausen, im Rathaus Pankow, im Ministerium des Inneren sowie der Justiz an, hinterlegte die Forderung auf Grundstücks-Restitution beim DDR-Minister für Regionale Angelegenheiten, bei der Präsidentin der Volkskammer, beim Ministerrat. Bei Lothar de Maizière wurden sie vorstellig, beim Komitee zur Stasi-Auflösung. Selbst ein Kraftpaket wie Meister Starke trägt sich fast einen Bruch an der Tasche mit sieben Ordnern Obersee-Schriftverkehr: »Sie können alles lesen«, wenn’s nicht reiche, er habe weitere Akten.
Mit Eingaben beschäftigte er Rechts- und Petitionsausschuss des Bundestages. 118 juristisch versierte Abgeordnete überzog er mit eingeschriebenem Formbrief, ohne dass er das Gefühl gewonnen hätte, die Parlamentarier wüssten, was sich im Osten für Durchstechereien abgespielt haben und abspielen. »Ahnungslose, ignorante«, in seinen Augen zudem »peinlich dürftige Antworten« musste er archivieren, von SPD-Klose bis CDU-Scholz. Dem Abgeordneten Thierse gab er erzürnt zurück, »um es freundlich auszudrücken«, seine Antwort sei »mehr als dürftig ausgefallen«. Starke klagte sich durch die Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht hoch. Drei Verfassungsbeschwerden wurden nicht angenommen. Auf dem langen Marsch ist er um 25 000 Euro ärmer geworden, sein Vertrauen in den Rechtsstaat kleiner. »Ich fühlte mich wie in einer Bananenrepublik.« Vom Staat, dem er brav Steuern zahle »und für den ich eingestanden bin«, fand er sich »hintergangen, alleingelassen, veräppelt. Das ist meine größte Enttäuschung.« Als »die Mutti« nach all den Niederlagen schließlich vom »Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen« doch noch ihre Immobilien zurückerhielt, »waren wir völlig verdutzt«. Nun durfte er das Empfinden haben, endlich sei für die Seinen der Zweite Weltkrieg zu Ende, der ihnen das Ererbte nahm.
Freilich verlängerte sich das von der Stasi geschaffene Unrecht um ein weiteres Jahrzehnt. Just als die Starkes hofften, nun ohne Komplikationen bei sich selbst einziehen zu können, schuf das Bezirksamt Hohenschönhausen neue Fakten. Kaum war die Staatssicherheit weg, hängte es 1991 das Schild »Musikschule« an das Privathaus Nummer 66. Sie erfuhren davon aus der Zeitung. Das legalisierte die Enteignung gleichsam nachträglich, für öffentliche Einrichtungen galt keine Rückgabe. Den Starkes vermittelte das ein intensives Gefühl, die MfS-Praxis werde mitanderen, nur scheinbar demokratischen Mitteln fortgesetzt. Offiziell erging die nachweislich falsche Auskunft, Russen hätten die Grundbücher vernichtet, es sei unmöglich, die Eigentümer festzustellen, es habe sich niemand gemeldet.
Christiano Starke hätte nie geglaubt, sich jemals mit dem DDR-Verteidigungsgesetz herumschlagen zu müssen. Fadenscheinig bediente sich die Stasi nämlich der einschlägigen Paragraphen, um sich haufenweise Areale unter den Nagel zu reißen. Von Landesverteidigung konnte am Obersee allerdings nie die Rede sein, »weit ab von jeder Grenze«. In dem Fall sprach das Vermögensamt von eklatanter »unlauterer Machenschaft « der Stasi, »ein redlicher Erwerb scheidet aus«, der Enteignungszweck sei »nur vorgeschoben« gewesen, »um in Wahrheit zu gänzlich anderen Zwecken« ans Grundstück zu kommen. Nur muss man fragen, warum es dann zehn Jahre dauerte, um ein für den gesunden Menschenverstand glasklares Unrecht aufzuheben. Andere Fälle hängen immer noch.
Der Obersee ist im neuen Deutschland zum »stehenden Gewässer II. Ordnung« erklärt worden. Am Beispiel der Stasi-Angler kann man lernen, wie tief stille Wasser gründen.
Wie kam die Stasi auf Günter Wallraff?
Ein Lehrstück der »Abteilung Desinformation«
Die Abteilung X war Markus Wolfs beste Truppe. Und der junge Autor gehörte zur linken Szene und passte scheinbar prima ins Konzept.
Ehe Hans-Joachim S. endgültig auf den Hund kam, dressierte ihn die DDR-Staatssicherheit auf den Mann. Es war 1969, der heutige Redakteur für Tiergeschichten machte im Rostocker Warnow-Hotel gezielt die Bekanntschaft des Schrift stellers Günter Wallraff: Nach Erkenntnissen
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