Die Stasi Lebt
war der Geheimdienst schon allhier. In seinem um den PC zentrierten Büro verschränkt Knabe jetzt die Hände hinter dem Kopf. Ein Bild mit dem Titel »Beinamputierter Harmonikaspieler« hinter sich, von Stasi-Häftling Roger Loewig gemalt. Zögerlich spricht der Historiker über das Private, das auf Weichheit bei ihm hindeuten könnte. Er hat viele Enttäuschungen mit Journalisten erlebt, wird gern als kühl porträtiert, kompromisslos, diszipliniert, dass es manchem unheimlich ist.
Knabe ist empfänglich für Schicksale und Leiden, sonst wäre er eine Fehlbesetzung. Die (undankbare) Rolle des Stasi-Deuters ist ihm mindestens ebenso sehr angetragen worden, wie er sie suchte. Halb zog es ihn, halb sank er hin. Insbesondere Redakteure bitten ihn um Meinungen, bescheren ihm Präsenz in den Medien, aber auch diverse Streite. Dann sind es die gleichen Redakteure, die ihn wegen dezidierter Äußerungen verdammen. Der Einzelkämpfer polarisiert, eckte ein paar Mal zu oft an, um eine steilere Karriere zu machen. Dabei ist er keinesfalls unversöhnlich: »Versöhnung kann nur gelingen, wenn Scham und Reue sichtbar ist!«
Bei seiner Prägung spürte Knabe früher als andere, wie die Stasi sich neu formierte. Es sei immer die Frage, ob man zur richtigen Zeit recht hat oder zur falschen. Im Rückblick fällt auf, dass die Geschichtsrevision drei Monate nach Eintritt der PDS in die Berliner Regierung beginnt. Die Zeit schien günstig, als hätten sich die grauen Herren gefragt, warum sie schweigen sollten, wo doch ihre IMs und Sympathisanten fleißig in Parlamenten vertreten sind. 2002 verkündeten Stasi-Kader bei einer Buchpräsentation ihre »Wahrheit« über das MfS. Das war der Tabubruch. Seitdemverfestigen sich die Parallelwelten in der Stadt, die von der SED durch eine Mauer geteilt worden war. Nicht nur verbreiten sich die in Desinformation erfahrenen Offiziere über die Macht der Finsternis, den Kapitalismus, was bei einer Arbeits losigkeit von 19,3 Prozent im Osten nicht verwundern muss. Triumphierend wird betont, bei 30 000 Ermittlungsverfahren gegen ihresgleichen habe es lediglich 20 Verurteilungen gegeben. Das bestärkt ihre Meinung, die bundesdeutsche Justiz habe letztendlich »das MfS rehabilitiert«. Liest man solche Pamphlete, beschleicht einen der Verdacht, mit der Aufarbeitung sei es nicht weit her. In der Stasi-Metropole tummeln sich diverse Zirkel, die sich für »Menschenwürde, humanitäre Unterstützung« einsetzen, Bürgerrechte, welche ihr »Dienst« Oppositionellen verweigerte. Während Mielkes Mannen aber dank Karlsruher Urteil sogar erhöhte Renten kassieren, steht die angemessene Haft entschädigung für SED-Opfer nach wie vor aus. Es ist wie früher: Die unverhältnismäßig hoch besoldeten MfS-Offiziere sind privilegiert, die von ihnen Geschundenen müssen ihr Recht suchen.
In einem Sittengemälde darf nicht fehlen, dass Knabe per Strafanzeige gegen den Ex-Obristen Wolfgang Schmidt vorgeht. Er hatte laut MfS-Papieren die »Vertrauliche Verschlusssache« über »Grundlagen und Anforderungen an ein System der zentralen Erfassung, Speicherung und Auswertung von Informationen über Vorkommnisse der schriftlichen staatsfeindlichen Hetze« erarbeitet. Vielfach dekoriert, war er »auf der Linie Bekämpfung der Feinde unter der Jugend« tätig und bestrebt, »sein IM-Netz ständig zu erweitern«. Die Vorgesetzten lobten Schmidts »Mut, Härte, Ausdauer«. Sind das Referenzen, mit denen man im Deutschland 2006 die Stasi weißwaschen kann? Er wird übrigens von der Anwältin vertreten, die Knabe bei der Familienzusammenführung mit seiner DDR-Frau half.
»Wer verzweifelt, hat das irgendwo gelernt«
Der Verführungsoffizier
Stasi-Major Helmut Menge war für Filmstar Jenny Gröllmann zuständig. Er sagt, sie war als IM registriert. Aber sie hat es nicht gewusst.
Das Zeugnis für Stasi-Major Helmut Menge könnte kaum besser sein. Er zeige »hohen Einsatz, klassenmäßige Haltung und operative Findigkeit«. In seiner Kaderakte heißt es weiter, Genosse Menge habe »schöpferische Ideen« entwickelt, wenn es darum ging, »den Feind zu suchen und ihm die Möglichkeit, die DDR zu schädigen, zu nehmen«. Prompt folgt die Auszeichnung mit dem »Kampforden für Verdienste um Volk und Vaterland«.
Hier kommt er auch schon ums Eck, der in den höchsten Tönen gelobte Held der inneren Sicherheit. Wir sind im Café Einstein Unter den Linden verabredet, Erkennungszeichen ein »Tagesspiegel«. Menge ist
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