Die Stasi Lebt
»Jeanne« ausgehändigt bekommen. Insgesamt liegen nach amtlicher Auskunft 522 Seiten vor, drei Karteikarten mitgezählt. Man liest und liest in einem Vorgang, der eindeutig scheint, wäre da nicht Jenny Gröllmann, die in fein ziselierten Erklärungen und Gegendarstellungen den Sachverhalt durch ihren Anwalt Hardy Langer kategorisch bestreitet. Kernsatz: »Ich habe niemals mit dem Ministerium für Staatssicherheit(MfS) der ehemaligen DDR zusammengearbeitet, auch nicht als IM.« Stimmt ihre Aussage, hätte Menge ausgerechnet eine gefragte Schauspielerin zur Mittelpunktfigur seiner phantastischen Erzählung bestimmt. Zündstoff für die ohnehin überfällige Studie zur Stasi-Paranoia. Seine Dokumente schildern gut 20 Kontakte mit »Jeanne« von 1979 bis 1984. Auf die vielen Widersprüche seiner Akte angesprochen, erklärt er sibyllinisch: »In irgendeiner Art hat das stattgefunden.«
Hätte die Aktrice denn nicht bemerken müssen, mit wem sie sich da angeblich eingelassen hat? Oder ist Menge hinter biederer Maske eine Mischung aus Buchbinder Wanninger und John Le Carré? Vielleicht sogar der bessere Schauspieler?
Beim Gespräch im »Einstein« entwickelt er seine Relativitätstheorie. Dazu trinkt er Römerquelle in großen Schlucken. Die trockenen Lippen bleiben. Man solle sich der damaligen Zeit erinnern. In einer merkwürdigen Mischung von Offensivgeist und Geheimniskrämerei schweift er ab oder schüttelt den Kopf, bis man glaubt, das sei Strategie. Ein Drehen und Wenden, plötzlich kann man sich vorstellen, dass er geschmeidig genug war, »Elisabeth«, »Franziska«, »Eva Bär« oder »Peter Weiss« zu gewinnen, Decknamen von Schnüfflern, die gleich »Jeanne« Eingangin sein akkurates IM-Vorgangsheft fanden. Wir blättern darin. Doch, sagt Menge und grient in sich hinein, von fast allen wisse er noch, wer sich dahinter verberge. Es klingt, als sei niemand enttarnt.
In Gestalt des rustikalen Offiziers schlich sich die Stasi jedenfalls verdeckt ins Leben der Gröllmann ein. Sie war noch mit Regisseur Michael Kann verheiratet, von Menge als »IM Franz« gekennzeichnet. Der Stasi-Gesandte kam mit einem unterm Briefkopf des Münchner Hotels Excelsior gefälschten (und sie belastenden) Schreiben, stellte sich mit »Helmut Holm« vor und schwindelte, er sei von der Kripo. Diese »Legendierung« habe er bis zum Ende durchgehalten. Tatsächlich schickte ihn die Stasi, HA II, Abteilung 13, »Bearbeitung von Auslandskorrespondenten«. Im geheimen »Auskunft sbericht« klärt der Führungsoffizier das Procedere ab: Als »Losung« sei mit »IM Jeanne« vereinbart gewesen: »Herzlichen Gruß vom Kollegen Helmut Holm. Er entschuldige sich …«
Wie in guten Thrillern scheint nichts, wie es war, und nichts war, wie es scheint. Hat nun gestimmt oder nicht gestimmt, was Menges Akte »Jeanne« überliefert? Wir nerven ihn noch einmal am Telefon. Er ächzt vernehmlich: »Total aus der Luft gegriffen war nichts.« Fügt aber hinzu: »Der Vorgang war ja nie für die Öffentlichkeit bestimmt!« Wollte er sich etwa intern mit seiner in Ost und West bekannten Quelle in besseres Licht rücken? Einerseits: Frau Gröllmann lässt via Anwalt fleißig richtigstellen: »Ich habe weder 1989 noch zu einem anderen Zeitpunkt Gespräche mit Personen geführt, die für mich als ›Führungsoffizier‹ des MfS erkennbar gewesen wären.« Andererseits rühmte sich Menge seines IM: »Der IM berichtete … wahrheitsgemäß und entsprechend der ihm erteilten Aufträge.« An anderer Stelle steht: Diese Berichte seien »operativ wertvoll« gewesen.
Wir sitzen unter einem Sonnenschirm. Es fängt zu regnen an, die Stunde der Wahrheit naht. Menge empfand sein auf eine Lüge gegründetes Dienstverhältnis mit dem »IM Jeanne« normal und unkompliziert. Bei der Stasi herrschte ein strenges, militärisches Kontrollprinzip. Kaum anzunehmen, dass er sich selbst ad absurdum geführt hätte, indem er Vorgesetzten frei erfundene Berichte unterschob, meinen Insider. Wo aber liegt die Wahrheit? Stimmt das, was er vordem ebenso entschieden aufschrieb, oder das, was der in Konspiration Erprobte jetzt ebenso entschieden dementiert, indem er öffentlich hochgeheime Stasi-Protokolle relativieren, wenn nicht widerrufen will. Ein bisher einmaliger Fall, denn Menge betont: »Jenny Gröllmann hatte definitiv keine Kenntnis, dass sie bei uns IM war. Sie hat es nicht gewusst. Das kann ich hundertprozentig sagen.« Echt sei nur ihre Registrierung als IM gewesen, »wir haben
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