Die Stasi Lebt
ein schmaler Schlitz. Flierl kam im Bewusstsein, überhaupt nur noch zu amtieren, weil Wahlen anstehen und Wowereit seinen »Thomas« wohl aus taktischem Kalkül nicht fallen ließ, wie vermutet wurde. Geisterblass saß er den Abend aus, griff sich häufig an den Kragen; alles war zu eng. Wenn dieser Politiker mit sich im Reinen ist, dann ist es Doktor Jekyll auch mit Mister Hyde.
Flierl sieht ehemalige Stasi-Häftlinge ans Mikrofon treten, Nachrichten vom »Ort des Terrors« werden vorgetragen. Im Gedenkenan die 40 000 Menschen, die dort litten, ist von Verzweiflung, Traumatisierung, bleierner Zeit, Verlorenheit, »Zersetzung der Seele« die Rede. Man denkt, gleich tut sich der Boden auf, Flierl wird aus Scham versinken. Aber er bleibt. Kaum ist die Veranstaltung zu Ende, skandieren Einzelne: »Flierl muss weg!« Der »Senator für Unkultur« (FDP) stakst steif davon, den Rückzug von unauffälligen Schützern gedeckt. Es ist eine Flucht. Ein älterer Herr stellt sich ihm in den Weg und schreit: »Schämen Sie sich.« Ob Hubertus Knabe den Abgang seines Stift ungsvorsitzenden registriert? In der Stasi-Kontroverse ist der Historiker die Gegenfigur zu Flierl, ein Mann, über den mindestens zu sagen ist, dass er über jede Menge Zivilcourage verfügt. Kein Wessi kennt mehr MfS-Akten als Knabe, mehr noch, er hat für jedes Detail ein lexikalisches Gedächtnis. Als Mitarbeiter der Gauck-Behörde machte er dem Osten vor, was Vergangenheitsbewältigung bedeutet: nicht verdrängen, sondern einen Standpunkt einnehmen, auch wenn er unbequem ist. Knabe entlarvte liebgewordene DDR-Mythen, enttarnte Personen, die drüben Ikonen waren. Namen darf er offiziell nicht nennen. Anhand ungezählter Dossiers lotete er die Abgründe »einer Diktatur« aus, die er stets mit dem Zusatz »menschenverachtend« versieht. 91 000 Hauptamtliche, 600 000 Informelle Mitarbeiter, die Stasi bespitzelte das Land flächendeckend. Was Knabe über die Schattenkrieger herausfand, verwandelte sich in erneuerbare Energie, befeuerte das Engagement an einem Ort, von dem viele Besucher sagen, er erfülle sie mit tiefer Niedergeschlagenheit.
Jahrgang 59, wirkt Knabe jünger, die Augen schlau, skeptisch. Im konservativen Outfit, das Haar akkurat gescheitelt, hat der Historiker etwas Streberhaft es, obwohl ihm die Stasi-Renaissance einen müden Zug ins Gesicht zeichnet. Ihn streitbar zu nennen wäre untertrieben. Er hat kein Talent für taktisches Verhalten.Dass Beweise die Wahrheit ermüden, will dem Aufklärer nicht in den Kopf. Knabes Mission gilt der historischen Aufarbeitung, das gebiete der Respekt vor den Opfern. Seine Arbeit ist immer nur ein Versuch, ihnen endlich den gebührenden Platz einzuräumen, derweil die Täter sich in Talkshows verbreiten, ihr Regime zum Biedermeieridyll umdeuten oder wie Markus Wolf dampfplaudernd den Hobbykoch mimen.
Eine sentimentale Geschichte. Gebürtig in Unna, band ihn die große Liebe zu einer Theologiestudentin an die DDR. Knabes Beziehung, über Mauer und Stacheldraht hinweg, hatte es in sich. Mit 19 geriet er in Mielkes Maschinerie. Um es kurz zu machen: 1992 war er der erste Westler, der eine Stasi-Akte einsehen durft e: Der Vorgang »Kleber« handelt von ihm. Dachte Knabe, vordem friedensbewegter Pressesprecher der Bremer Grünen, er würde Schnüffler an der Nasenspitze erkennen, sah er sich getäuscht. Die »Firma« hatte Bekannte auf ihn angesetzt: »Wir haben keine Leute zu Ihnen geschickt. Wir haben welche genommen, die da waren«, prahlte im Nachhinein ein Überwacher.
Da gab es den IM »Adrian Pepperkorn«, er kassierte 200 000 Mark Judaslohn. Da gab es den IM »Klaus«, einen Pfarrer. Es gab den IM »Schäfer«, Bruder des Schrift stellers Schädlich. Und es gab den IM »Walter Rosenow«. Knabe holt das von ihm 1989 publizierte Bändchen »Aufbruch in eine andere DDR« aus dem Regal, zählt auf, dass sich ein halbes Dutzend seiner Autoren der Stasi verpflichtet hatte. Das Konzept seiner Dissertation über Umweltprobleme im Sozialismus lag bei der Hauptabteilung XX, der auch Wolfgang Schmidt angehörte, der ihn jetzt »Volksverhetzer« nannte. Ein IM verriet sein Pseudonym »Klaus Ehring«. Schon das erklärt, »warum ich meine Arbeit mache, wie ich sie mache, mit Herzblut«.
Man kann also von einer Grunderfahrung sprechen, die Knabeein für alle Mal vom Kommunismus heilte. Jahrelang bangte er um seine deutsch-deutsche Liebe. Jahrelang ließen ihn die Grenzer nicht zu ihr. Traf er die Freundin in Prag,
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