Die Stasi Lebt
der Camouflage jedenfalls trafen da aufeinander. Wagenbreths clevere »Zehner« mussten sich einem anverwandeln, der später die eigene Verfremdung in den Türken Ali oder den »Bild«-Redakteur zur Kunstform erhob, eine ihrer leichteren Übungen. Hätte Wallraff den strengen Stasi-Geruch nicht wahrgenommen, machte ihn das zum unpolitischen Schrift steller, ja Naivling. Szenekenner meinen, er sei nicht der einzige Intellektuelle, der sich im Osten in der Gewissheit wähnte, die Situation im Griff zu haben. Regie führten jedoch um ihn gruppierteStasi-Agenten. Die Spezialisten für Desinformation verstanden sich, wie die Akte suggeriert, aufs Geben und aufs Nehmen.
In der Wallraff -Debatte wird gern übersehen, dass sein Vorgang für die Bundesanwaltschaft längst ein »ausermittelter Fall« ist. Die Anklageschrift gegen Oberst Wagenbreth vom November 1993 dokumentiert im Kapitel »Einzelne Spionagefälle« unter neun IM-Vorgängen, »die für die Arbeitsweise exemplarisch sind«, ausführlich seine Kopenhagener Begegnung mit dem »IM Friedhelm«. Der war mit dem BRD-Pass »Heinz Guntermann« präpariert worden, »um den DDR-Kontakt Wallraffs zu verschleiern« (so die Behörde). Zweck der Reise: »die von Günter Wallraff auftragsgemäß beschafft en Informationen und Materialien entgegenzunehmen und andererseits Günter Wallraff für dessen weitere Tätigkeit zu instruieren«.
»IM Friedhelm« flog wegen des gefälschten Passes auf, Stichwortzettel mit von HVA-Dornberger vorgegebenen Wünschen und Gesprächsnotizen in der Tasche; auch »schriftliche Unterlagen«, die Wallraff, so heißt es weiter, »seinem Treff partner übergab«. Laut Fußnote 401 habe »der Zeuge Wallraff Angaben zum Auftreten Dornbergers bislang verweigert«. Strafverfolger sprechen vom »Beweiswert« des Sichergestellten, es hätte nach dieser Auskunft zum Ermittlungsverfahren gegen Wallraff gereicht, doch der Sachverhalt wäre verjährt gewesen. Es wird höchste Zeit, dass die Karlsruher sich zu Wallraff erklären.
Das Ende der »Zehn«: Beim Aktenschreddern machten sich Dornberger & Co. über die »Generalsreserve« her, schottischen Whisky, französischen Kognak, Krim-Sekt. Die letzte Parole, die über den nackten Flur schallte: »Jeder trinkt, so viel er kann.«
Die Stasi lebt
Die Schatten werden wieder länger
Berliner Zustände: Stasi-Offiziere trauen sich wieder was, auch öffentlich. Kultursenator Flierl schweigt dazu, Hubertus Knabe nicht.
Man kann die wundersame Wiederauferstehung im Internet verfolgen. Die alten Kameraden morsen unter »mfs-insider.de« beharrlich ihre Nachrichten. Man erlebt es bei Auftritten von Mielkes Untoten, die in öffentlicher Diskussion einstige Opfer »infam herabwürdigen«, wie Parlamentspräsident Walter Momper kritisiert. Man kann förmlich zuschauen, wie sie aus der Schockstarre erwachen: Zunehmend »aggressive Propaganda« der entmachteten Machtelite alarmiert auch Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen.
Schließlich kann man im Netz einen »Offenen Brief« an die CDU finden, in dem Hubertus Knabe von der Gedenkstätte Hohenschönhausen »Volksverhetzer« geschimpft wird. »Mit freundlichen Grüßen« von einem Wolfgang Schmidt unterschrieben, leider ohne seinen Stasi-Dienstgrad »Oberstleutnant« anzufügen. Laut Kaderakte ein »klassenbewußter, disziplinierter und bewährter Offizier des MfS«. Es ist auch der Schmidt, der ums Eck des Stasi-Knasts Hohenschönhausen wohnt – sechste Klingel Mitte – und der mit Regisseur Florian Henkel von Donnersmarck »vorbereitende Gespräche« für den Film »Das Leben der Anderen« führte, worüber er sich gleichfalls im Internet verbreitet.
Es liegt was in der Berliner Luft. Die »Süddeutsche Zeitung« prophezeit: »Die harten Stasi-Debatten stehen uns erst nochbevor.« Warum hätte Walter Momper sonst jüngst Stasi-Opfer ins Abgeordnetenhaus eingeladen. Über dem Rednerpult leuchtete in Digitalschrift: »Zeichen setzen – Schauspieler und ehemalige Häftlinge des MfS lesen Zeitzeugenberichte«. Die Veranstaltung wollte als Signal verstanden werden, nachdem Stasi-Seilschaft en Mitte März eine öffentliche Sitzung im Bezirksamt Lichtenberg umfunktioniert und sich in groteskem Rollenwechsel zu Anklägern aufgeschwungen hatten. Auf der Tagesordnung stand dort eigentlich »Die Situation im ehemaligen Sperrgebiet« von Hohenschönhausen. Schon die amtliche Einladung unterschlug, dass es dabei um Stasi-Sperrgebiet
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