Die Statisten - Roman
Samant, als er die Tür öffnete. âAch, was sollâs, kommen Sie herein. Was kann einem achtundsiebzigjährigen Arzt, der gegen das Gesetz verstöÃt, um eine Frau zu retten, der nicht mehr zu helfen ist, schon groà passieren?â
12
Bis zu jenem schicksalhaften Neujahrsmorgen schien es so, als ob Eddies Laufbahn einen Neustart hinlegen würde â bis Inspector Gupte wegen seiner Weigerung, Mrs Fernandesâ Kneipe weiterzuführen, beschlossen hatte, ihn ins Kittchen zu stecken. Diesmal vollbrachte dieser Korken namens Eddie das Unmögliche: Er ging unter wie ein Stein. Er hätte es vielleicht schaffen können, sich von diesem schrecklichen Schicksalsschlag zu erholen, wenn seine Mutter nicht mit hineingezogen worden wäre. Aber sie war die Einzige, die Kaution für ihn stellen konnte. Wie früher war sie ihm zu Hilfe geeilt, doch hatte sie die Sache so mitgenommen wie seinerzeit nicht einmal der Tod ihres Mannes. Sie hatte sich und ihre Familie immer für etwas Besseres als die übrigen Leute in den CWD -Chawls gehalten â nicht so sehr gegenüber den Hindus, die für sie lediglich ein schwaches Hintergrundrauschen darstellten, sondern innerhalb der katholischen Gemeinde.
Eddie wusste durch das, was GroÃmutter ihm und Pieta in ihrer Kindheit erzählt hatte, und durch gelegentliche Bemerkungen seiner Mutter durchaus einiges über die Geschichte der Familie. Violet entstammte dem Land besitzenden Adel, und ihr Portugiesisch war makellos, wenn auch mittlerweile etwas eingerostet und antiquiert. Selbst heute noch wechselte sie, wenn sie etwas zu ihrer Mutter sagen wollte, das nicht für die Ohren der Kinder bestimmt war, ins Portugiesische. Als Brahmanen, wenngleich römisch-katholische Brahmanen, hatten sie zur absoluten Oberschicht von Goa gehört, und sie hatten dafür gesorgt, dass das auch niemand vergaÃ, vor allem nicht die anderen Katholiken. Jesus mochte Gleichheit und Brüderlichkeit gepredigt haben; ja, er hatte wohl sogar die Armen bevorzugt. Aber in diesem einen Punkt war ihm nicht zu trauen; schlieÃlich kam er nicht aus Goa, wo jeder wusste, wo er hingehörte. Kein Mensch, der nur einen Funken Selbstachtung besaÃ, hätte geduldet, dass sich jemand aus einer niedrigeren Kaste Vertraulichkeiten herausnahm. Und falls jemand es doch versuchte, sorgte man dafür, dass er auf LebensgröÃe zurechtgestutzt und anschlieÃend gehörig zur Schnecke gemacht wurde. Trotzdem konnte man nicht bestreiten, dass Violet den Notleidenden und Bedürftigen gegenüber stets gütig war. In den glücklichen Tagen, als ihr Vater noch lebte und sie reiche Grundbesitzer waren, unterhielt Violets Familie eine wohltätige Stiftung, und sie war dafür verantwortlich gewesen. Sie war die Vorsitzende des Spendenbeschaffungskomitees und sie betrachtete ihr Amt keineswegs als etwas, dem man sich so nebenher nach Lust und Laune widmete. Sie arbeitete jeden Tag, auÃer an den Wochenenden, und ab sieben Uhr früh standen Schlangen von Menschen vor ihrem Haus, die auf die eine oder andere Weise Hilfe brauchten.
Ihre Familie hatte ausgedehnte Mango-, Cashew- und Kokosnussplantagen, Mangan-Minen und Gott weià was sonst noch alles besessen. Der Adjutant des portugiesischen Gouverneurs war unmittelbar vor seiner Rückkehr in die Heimat bei Violets Eltern vorstellig geworden und hatte um ihre Hand angehalten. Er wollte sie mit nach Lissabon nehmen. Sie hatte gehört, er sei mittlerweile Vizeadmiral der portugiesischen Marine. Er hatte in seiner gestärkten weiÃen Uniform so schmuck und elegant ausgesehen und war so kultiviert. Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihn abgewiesen hatte, es sei denn, weil er ihr den Antrag in letzter Minute gemacht und zu wenig Zeit gelassen hatte, darüber nachzudenken â oder vielleicht auch aus dem schlichten Grund, dass sie die Macht gehabt hatte, ihn zu enttäuschen.
Und dann, als Violets Vater starb, standen sie plötzlich völlig ohne Geld da. Er hatte den gesamten Familienbesitz verpfändet. Wie sich herausstellte, war er glücksspielsüchtig gewesen, und als wäre das noch nicht schlimm genug, hatte er eine Mätresse gehabt. Man munkelte, es sei jemand vom Tempel, eine devdasi von so berückender Schönheit, dass nicht einmal die Götter vor ihr sicher waren. Beim Gedanken, dass die Leute eine so schmutzige Phantasie hatten, sich derartige Geschichten
Weitere Kostenlose Bücher