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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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gebracht hatte und sich ihren Lebensunterhalt als Engelmacherin verdiente, hatte sie ausgeweidet und sie anderthalb Stunden lang bluten lassen.
    Ravan wäre nicht fähig gewesen, genau auszudrücken, was ihm durch den Kopf ging, aber er hatte das Gefühl, dass dies für ihn ein Tag der Abrechnung war. Ob er tatsächlich Eddies Vater getötet hatte, darüber konnte man sich streiten, aber es stand außer Zweifel, dass er für alle Konsequenzen seines Todes verantwortlich war. Violet Coutinho war gezwungen gewesen, Schneiderin zu werden, und die Familie hatte im CWD -Chawl bleiben müssen, statt in die Air-India-Siedlung umzuziehen. Jetzt konnte er nicht erkennen, ob Pieta tot oder lebendig war, aber falls Ersteres der Fall sein sollte, war er wirklich das, als was ihn ihre Mutter immer bezeichnet hatte: der Engel des Todes.
    Und doch war das alles für ihn ohne Bedeutung. Es war in Wirklichkeit ganz simpel, und es bestand keinerlei Notwendigkeit, die Geschichte der Familie Coutinho ins Spiel zu bringen. Er liebte Pieta; so einfach war das. Falls Nikhat Begum sie getötet hatte, blieb ihm keine andere Wahl, als sie aus dem Totenreich zurückzuholen. Und wenn ihm das nicht gelingen sollte, dann wäre eben Schluss mit seinem Leben – Laden runter und Feierabend.
    Er zog Pietas Unterhose unter dem Bett hervor, umklammerte den Bettrahmen und zog sich hoch. Er war noch immer wackelig auf den Beinen, aber er ging in die Küche, gefolgt von Nikhat Begums Stimme. „Was zum Teufel treibst du da eigentlich?“ Ohne sie zu beachten, hob er ein Messer mit einer papierdünnen Klinge auf.
    â€žSagen Sie mir den Namen eines Arztes!“
    â€žWoher soll ich denn einen kennen?“
    â€žTreiben Sie keine Spielchen mit mir, Nikhat Begum. Wenn Sie mir den Namen nicht sagen, schneide ich ihnen die Kehle durch. Wenn Sie mich anlügen und mich mit einem x-beliebigen Namen abspeisen, komme ich wieder, und ich versichere Ihnen, Sie werden mit Ihrem Leben bezahlen.“
    â€žIch schreie die ganze Nachbarschaft zusammen.“
    â€žDas würde ich an Ihrer Stelle nicht tun. Das ist Ihr Messer, Sie wissen selbst, wie scharf es ist. Raus mit der Sprache!“
    Sie dachte einen Augenblick lang nach. „Dr. Samant. Sagen Sie ihm bitte nicht, dass ich Sie zu ihm geschickt habe. Er wohnt direkt über seiner Entbindungsklinik. Samant Niwas, neben dem Prarthana-Samaj-Gebäude. Aber er praktiziert nicht mehr.“
    â€žGeben Sie mir Ihren Dupatta.“
    â€žWas?“ Nikhat Begum sah empört aus, als wollte Ravan ihr die Kleider vom Leib reißen.
    â€žSie haben mich verstanden. Ich kann sie nicht hinaustragen, ohne sie zuzudecken.“
    â€žDas wird Sie aber was kosten. Es ist ein teurer Dupatta!“
    â€žIch werde zahlen. Wenn sie überlebt.“
    Er wickelte Pieta in das dicke verschwitzte Tuch und hob sie so sanft wie möglich auf.

    Ravan hatte schon mehrmals geklingelt, aber jetzt änderte er seine Taktik. Er nahm den Finger zwei geschlagene Minuten nicht vom Knopf. Noch immer keine Reaktion. Der Arzt war offenbar nicht in der Stadt. Oder er hatte erraten, dass jemand vor seiner Tür im Sterben lag oder schon tot war, und wollte nichts damit zu schaffen haben. Es war aus. Ravan hatte den Gedanken bislang noch nicht zugelassen, aber die ganze Zeit gewusst, dass Pieta sterben würde, weil er ihr dieses eine Mal in Karjat untreu gewesen war. Es spielte keine Rolle, dass er sein Leben lang kaum ein paar Worte mit ihr gewechselt hatte und sie gar nicht ahnte, dass sie die Liebe seines Lebens war. Bestimmt stellte er nicht einmal eine blasse Erinnerung in ihrer inneren Landschaft dar. Aber darum ging es nicht; wenn man einen Menschen liebte, dann liebte man ihn eben, egal, ob er einen zurückliebte oder auch nur wusste, dass man existierte. Und man wich niemals davon ab, sondern hielt an seiner Liebe fest, wie die Kompassnadel am Nordpol festhält.
    Während die rechte Hand weiter auf die Klingel drückte, hämmerte die linke jetzt gegen die Tür, als wollte Ravan sie buchstäblich einschlagen. Und das hätte er auch getan, wäre die Tür nicht plötzlich aufgeflogen und ein Mann von etwa fünfundsiebzig mit einem Gehstock auf ihn losgegangen. Zum Glück verlor Ravan das Gleichgewicht, und der Stock erwischte ihn nur am Arm.
    â€žIch bring Sie um, ich bring Sie um, weil Sie meine alten Trommelfelle ruinieren, und wenn es das

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