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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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was noch wichtiger war, sie hatte momentan sowieso nicht die Absicht zu heiraten. Maria-Augusta hörte ihr geduldig zu und ließ das Thema fallen. Ein paar Tage darauf stellte sie in ihrem ironischen, verschmitzten Ton die Frage, ob einen Wildfremden, der von den Hintergedanken seiner Tante nichts ahnte, zum Tee einzuladen, gleichbedeutend mit einem Ja zu diesem Mann sei.
    Es war kein uneingeschränkt gelungenes Zusammensein, zumindest nicht, wenn man Violet fragte. Er sah nicht schlecht aus, befand sie, entbehrte aber jedes erinnernswerten Merkmals. Jedenfalls besaß er nichts, durch das er sich mit dem Gouverneursadjutanten in seiner makellos gebügelten Marineuniform hätte messen können. Victor Coutinho war groß gewachsen, hatte ein schüchternes Lächeln und eine selbstsichere, aber auch selbstironische Art – eine Eigenschaft, für die Violet ganz und gar nichts übrighatte. Wenn man sich selbst schlechtmachte, so zeugte das von mangelndem Selbstvertrauen, und dann war es entweder nur falsche Bescheidenheit, oder man hatte wirklich guten Grund zu solcher Schüchternheit. Violet war höflich und zuvorkommend, aber distanziert. Violets Mutter und Victor Coutinho hingegen lieferten sich ein Geplänkel wie aus einer gut einstudierten Komödie – als stünden sie auf der Bühne, ohne einen Gedanken an das Publikum zu verschwenden. Täuschung, Attacke, Parade, Hieb und Stich, sie vollführten ein unaufhaltsames Wortgefecht, einen Dialog zwischen einem Mann und einer Frau, die kein Generationsunterschied trennen konnte.
    Er kam vor seiner Abreise noch zwei Mal vorbei. Das erste Mal lud ihn ihre Mutter ein, zum Lunch zu bleiben, und beim zweiten Anlass erschien er um sieben Uhr und machte keine Anstalten zu gehen, obwohl er natürlich wusste, dass es Abendessenszeit war. Maria-Augusta nahm ihm seine Säumigkeit nicht übel; im Gegenteil, sie schien sie zu unterstützen und legte ein Gedeck für ihn auf, ohne zu fragen, ob er an dem Abend noch etwas vorhabe. Unnötig zu sagen, dass Victor Coutinho es nicht für erforderlich hielt, wenigstens pro forma zunächst Nein zu sagen. Ohne jede Scham, dafür mit einem Lächeln, setzte er sich an den Tisch und verputzte alles, was ihm vorgelegt wurde; er hatte nicht einmal den Anstand abzulehnen, als ihm eine zweite und eine dritte Portion angeboten wurden, während Violet und ihre Mutter so taten, als sei es bei ihnen üblich, abends lediglich einen Löffel Curry auf rotem Reis zu essen und sonst nichts. Alles, absolut alles habe wie ein Mahl für die Götter geschmeckt, erklärte Victor Coutinho Mutter und Tochter, gemessen an dem abscheulichen Fraß, den er für sich selbst in Bombay koche. Violet schnaubte innerlich. Hatte der Gast keine Ahnung, wie geschmacklos und beleidigend seine Bemerkung klang, da sie implizierte, dass das Essen bei ihnen bestenfalls mittelmäßig war? Doch die Frage, die von ihm erwartet wurde, stellte er nicht, und Violet fragte sich, wozu er überhaupt gekommen war. Wenn Victor gern auswärts aß, hätte sie ihm ein gutes, billiges Restaurant empfehlen können; es bestand wahrhaft keine Veranlassung, sich ihnen aufzudrängen – wenngleich man einräumen musste, dass ihre Mutter ihm beim Abschied erklärt hatte, er könne, solange er in Panjim sei, sooft er wolle, bei ihnen erscheinen.
    Vier Tage später reiste er ab. Sechs Monate lang war weder von ihm noch von der Tante, die den Kontakt hergestellt hatte, das Geringste zu hören. An Heiligabend stand er dann plötzlich vor der Tür, jedoch ohne ein einziges Wort der Entschuldigung für sein langes Schweigen. Er musste wirklich sehr von sich eingenommen sein, dachte Violet, sich erst so ungeniert zu verhalten und dann ohne Ankündigung wieder aufzutauchen, als sei das die natürlichste Sache der Welt. Violet war eisig zu ihm, ihre Mutter jedoch empfing ihn wie den lange verlorenen Schwiegersohn. Sie gingen zur Mitternachtsmesse, und anschließend begleitete er sie nach Hause. Violet wäre jede Wette eingegangen, er hätte die Absicht, die ganze Nacht bei ihnen herumzuhängen, Feni zu süffeln oder – weil Weihnachten war – um ein Gläschen Scotch zu bitten und vielleicht noch um ein weiteres. Doch zu ihrer Erleichterung stellte sie fest, dass er sich zur Abwechslung einmal nicht unentschlossen zeigte. Er wünschte beiden eine gute Nacht, doch als

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