Die Statisten - Roman
verzweifelte Paar herunterballern. Schnitt auf Sanjeev Kumar, wie er gerade dabei ist, den Halt zu verlieren. Er steht unmittelbar davor, hundert Meter tief zum Fischerdorf unten am Strand hinabzustürzen, als Hema-ji herumwirbelt und nach einer frei liegenden Wurzel greift.â
Sämtliche Statisten auf dem Set hingen an den Lippen des Regieassistenten. Es war, als liefe der Film vor ihren Augen ab.
âSchnitt auf den donnernden Ozean, auf dem ein entsetzlicher Sturm wütet. Die Spannung ist unerträglich. Schnitt auf Hema Malini, die von Sanjeev Kumar im allerletzten Augenblick gerettet wird. Schnitt auf die Fischer unten am Strand â das seid ihr. Sie verfolgen dieses hochspannende Drama, das sich an der tödlichen Bergwand abspielt. Jetzt beschlieÃt der Oberschurke, dem Paar zu folgen. Er wird an einem um seine Taille gebundenen Seil hinuntergelassen, und er wird den Helden und die Heldin jeden Augenblick einholen. Er hat bereits eine Pistole gezückt und wird sie gleich abfeuern. Wieder Schnitt auf die Fischersleute. Sie sprechen kein Wort. Das ist auch gar nicht nötig. Ihre Mienen sagen alles: Werden der Held und die Heldin überleben? Oder wird der Schurke sie töten, bevor sie es nach unten schaffen? Und selbst wenn sie es schaffen sollten, werden sie dann mit dem Leben davonkommen? Oder wird der Schurke sie doch noch erwischen?â
Es ist absurd: Die Kamera wird Eddie vor Drehbeginn auch später jedes Mal in Angst und Schrecken versetzen, aber sobald es losgeht, ändert sich seine Körperchemie grundlegend, und hervor tritt Eddie der Interpret, voll unter Strom, konzentriert, entspannt und bereit, Regisseur und Kameramann von den Socken zu hauen. Die Kamera, wird ihm jedes Mal aufs Neue bewusst, ist der archetypische SchoÃ, sein Ur-Ort der Geborgenheit. Sie sind die besten Kumpel; nie ist er mehr er selbst, als wenn er vor ihr steht. Jetzt, da die Kamera läuft, schnappt Eddie plötzlich nach Luft, seine linke Hand schieÃt instinktiv nach oben, und sein Mund öffnet sich leicht, als er sieht, wie Sanjeev Kumar ausgleitet, rutscht und den Halt verliert, während Hema Malini ihn beim Hemdzipfel packt und der Stoff reiÃt, und Sanjeev weiter hinunterrutscht, verzweifelt hin und her schwingt und schaukelt, bis er im allerletzten Moment doch noch Halt findet.
âSchnitt!â, brüllte der Regisseur. âHe du, GroÃmeisterâ, sagte er, während er auf Eddie zuging, âbildest du dir ein, du wärst der Star des Films? Nur zu deiner Information: Das bist du nicht. Du bist einer aus dem groÃen Haufen, ein Statist!â
âAlso, ich fand seine Reaktionen eigentlich ziemlich gutâ, meldete sich der Kameramann zögernd zu Wort. âWenn man in diesem Moment in den Kinosaal käme, würde einen seine Körpersprache augenblicklich einstimmen.â
Der Regisseur richtete den Strahl seines Blicks auf den vorlauten Kerl und lieà ihn eine geschlagene Minute auf ihm ruhen. âAch, Sie müssen der Regisseur des Films sein. Ein Glück, dass ich Sie gefunden habe! Wären Sie so gütig, mich als Ihren dritten Assistenten einzustellen?â
âTut mir leid. Hab nur laut gedacht.â
âDas nächste Mal wird es dir besonders leid tun, dann bist du nämlich drauÃen. Mach einfach deinen Job und misch dich nicht in meine Arbeit ein!â
Eddie zuckte innerlich jedes Mal zusammen, wenn er sich an diesen ersten Tag vor der Kamera erinnerte. Das Erlebnis hatte sich auf einer Endlosschleife in seinem Gehirn eingebrannt und lief immer und immer wieder ab. Er wusste, er hätte einfach gehen sollen, den Set verlassen, den Film hinschmeiÃen, aus der Statistengewerkschaft austreten und schwören sollen, erst dann wieder vor die Kamera zu treten, wenn er wirklich der Held wäre, ein Superstar, den kein Regisseur schlechtzumachen oder schlecht zu behandeln wagen würde. Ja, sagte er sich, er hätte einfach gehen und sein eigenes Unternehmen gründen sollen, vielleicht eine eigene Fluglinie, so wie Howard Hughes die TWA gegründet hatte, und anschlieÃend seine eigene Filmgesellschaft, ebenfalls so, wie Howard Hughes es gemacht hatte, um dann den Regisseur, der ihn heute vor allen gedemütigt hatte, einzustellen und ihm gleich am allerersten Tag zu sagen, wohin er sich scheren konnte, ihm sein Geld vor die FüÃe zu schmeiÃen und ihn rauszuwerfen. Stattdessen ging Eddie weg und setzte
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