Die Statisten - Roman
sich unter einen Baum und saà dort mutterseelenallein, bis ein paar Kollegen seiner Verbitterung die Krone aufsetzten, indem sie ihn bemitleideten und ihm sagten, der Regisseur sei ein Arsch und ein Tyrann, und er solle sich die Sache nicht zu Herzen nehmen.
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âWas laden Sie da in den Kofferraum?â
âIch dachte, ich hätte gesagt: Keine Fragen.â
âDas ist mein Taxi, ich muss es wissen.â
âWer sagt das?â
âWo fahren wir hin?â
âNach Alibag.â
âDas ist ja noch hinter Panvel, mindestens neunzig Kilometer von hier.â
Ravan hatte den Eindruck, dass mit dem vorderen Nummernschild seines Taxis irgendwas nicht stimmte. Er schlenderte nach hinten und erkannte, dass an beiden Nummernschildern die Zahlen leicht verändert worden waren. Aus 4796 war 4697 geworden. Er bückte sich, um die Sache genauer anzuschauen, und bemerkte zunächst nichts, bis er hinter dem Nummernschild zwei fast unsichtbare längliche Haken entdeckte. Sie waren so geschickt angebracht, dass sie von auÃen nicht zu sehen waren.
âWas ist das?â
âSteig einfach ein und fahr los.â
âKommen Sie nicht mit?â
âNur keine Sorge, ich werde dich niemals verlassen, Ravan.â Bashir Akhtar lächelte anzüglich. Wenn das ein Freundschaftsangebot sein sollte, sagte sich Ravan, dann war Vorsicht angebracht. âWir sind ein untrennbares Gespann, du und ich. Diesmal werde ich dir allerdings hinterherfahren und sehen, wie du dich machst.â
Bashir Akhtar knallte die Taxitür zu, beugte sich hinunter und sagte: âFahr zum Strand von Alibag. Dort, wo sich die StraÃe gabelt, siehst du ein groÃes Schild â ,Alibag International Hotelâ. Da treffen wir uns. Sieh zu, dass die Ware im Kofferraum ohne Zwischenfälle ankommt.â
âDer Fahrpreis wird ziemlich happig werden. Ich gehe davon aus, Sie werden ihn bezahlen.â
âDu hast mein Geld gestohlen, du zahlst.â Bashir-bhai stieg in seinen Ambassador und befahl dem Fahrer, dem Taxi zu folgen.
Es hatte keinen Sinn, mit Bashir Akhtar zu diskutieren. Mit etwas Glück würde der Eigentümer der Taxiflotte erfahren, dass Ravan mit seinem Taxi das Stadtgebiet verlassen hatte, und ihn feuern. Zwar würde er dann verhungern, weil seine Mutter ihm, wenn er arbeitslos wäre, nichts zu essen geben und ihm auch nicht erlauben würde, weiter zu Hause zu wohnen; doch das würde besser sein, als für Bashir-bhai Schmuggelware durch die Gegend kutschieren zu müssen. Momentan hatte Ravan allerdings ein anderes Problem. Da das Film Institute in Puna keine Bewerber ohne Hochschulreife aufnahm, hatte er versucht, die Filmstudios auf eigene Faust abzuklappern. Allerdings war das erfolglos geblieben, und er hatte sich widerwillig dazu entschlieÃen müssen, der Statistengewerkschaft beizutreten. Und ausgerechnet heute gab es einen Termin für einen AuÃendreh mit Shantaram Bapu â eine einmalige Gelegenheit, die ihm, wie er hoffte, einen bombastischen Karrierestart verschaffen würde, wie ihn Jeetendra seinerzeit gehabt hatte. Aber wegen Bashir-bhai zerrann ihm jetzt die Chance seines Lebens. Man konnte nicht einfach âverpiss dichâ zu ihm sagen und tun, was man wollte.
Als sie das Electric House passierten, fragte sich Bashir Akhtar bereits, ob er Ravan Pawar nicht möglicherweise unterschätzt hatte. Warum hatte er sich dafür entschieden, die Route über den Colaba Causeway zu nehmen, wo es doch viel schneller gegangen wäre, direkt in Richtung Sachivalaya zu fahren, dann nach links zum Nariman Point und anschlieÃend rechts auf den Marine Drive abzubiegen? Es sei denn ⦠es sei denn, Ravan beabsichtigte, am Lionâs Gate und der Reserve Bank of India vorbeizufahren, dann hinter dem Hauptpostamt und an den Docks vorbei, weil auf der Strecke der Schwerlastverkehr gewöhnlich nicht vor elf Uhr einsetzte und man bis dahin hoffen konnte, bis nach Sion und dann weiter über den Western Express Highway nach Panvel freie Bahn zu haben.
Die Route war letzten Endes egal. Das Problem war, der Kerl fuhr wie eine gesengte Sau. Er hatte schon versucht, eine junge Frau, die am Electric House die StraÃe überquerte, über den Haufen zu fahren. Er hatte zwar Vorfahrt gehabt, aber das hier war Bombay: Ein Autofahrer riskierte, gelyncht zu werden, wenn er einen FuÃgänger, der die StraÃe bei Rot überquerte,
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