Die Statisten - Roman
genau. Ein Fahrgast hat heute erwähnt, dass die dort drüben Lastwagenfahrer suchen.â
âWie viel würde das Ticket kosten?â
âEs geht nicht nur um das Ticket, Maa. Ich werde auch einen Reisepass brauchen, und den Vermittler werde ich auch noch bezahlen müssen.â
âUnd wo soll das Geld dafür herkommen?â
âVon dem, was du von meinem Lohn gespart hast. AuÃerdem werde ich mir, wenn du nichts dagegen hast, etwas von dir leihen. Sobald ich dort anfange, etwas zu verdienen, zahle ich alles zurück. Mit Zinsen. Versprochen.â
âWie lange wirst du fortbleiben?â
âMaa, ich glaube nicht, dass ich jemals hier wegkommen werde. Das sind einfach nur Tagträume.â
Das brachte Parvati zum Schweigen. Aber sie wusste, dass ihr Sohn sich mit irgendetwas quälte und es vor ihr geheim hielt. Einige Wochen später, als Shankar-rao gerade runtergegangen war, um die Zeitung zu kaufen und im Jai Bholenath Tea House eine Tasse Tee zu trinken, setzte sie sich neben Ravan aufs Bett.
âIch hab nachgedacht, Ravan, ich bin nicht die richtige Gesellschaft für dich. Du liebst die Musik, und du singst so gut. Und ich? Ich hab überhaupt kein Gehör. Ein Sieb kann besser Wasser halten als ich einen Ton. Du bist ein Künstler, du möchtest Filmschauspieler werden; ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Film gesehen habe. Und wenn ich mal einen sehe, ertrage ich es nicht, mit anzusehen, wie die Leute leiden und niemand ihnen hilft, und dumm, wie ich bin, glaube ich, dass das alles wirklich ist, und fang an zu weinen.â
Ravan hatte seine Mutter noch nie so viel am Stück reden hören. Aber andererseits, mit wem sollte sie schon reden? Ihre Töpfe und Pfannen wären gesprächiger und unterhaltsamer als dieser Mann, der sein Vater war. Freundinnen hatte sie keine, weil sie nie die Zeit gehabt hatte, welche zu finden. Und was ihn selbst betraf, so hatte er keine Ahnung, worüber Söhne und Mütter reden könnten, auÃer ob er mittags was gegessen hatte und ob er Sachen zum Waschen hatte. Einen Moment lang fragte er sich, ob sie ihm damit zu verstehen gab, dass er sie mit ins Kino nehmen sollte. Aber seine Mutter war zu derlei Listen gar nicht fähig. Wenn sie was zu sagen hatte, dann sagte sie es auch, ganz unverblümt. Worauf wollte sie also hinaus?
âDu brauchst einen intelligenten Menschen, jemanden, der dich und deine Kunst versteht. Was du brauchst, ist eine Partnerin, eine Seelengefährtin.â
âSo jemanden von der Sorte, die du gefunden hast, wie meinen Vater, deinen Mann?â Ravan konnte sich diese Spitze nicht verkneifen.
Parvati-bai lächelte. âNein. Jemand, der einfühlsam ist und dich versteht.â
âIch geh bei Gelegenheit zur nächsten StraÃenecke, vielleicht zum Victoria Terminus, und schau mich nach was Passendem um.â
âWas hältst du davon, mein Sohn?â Sie lieà sich von Ravans Witzeleien nicht beirren. âIch könnte mich allmählich auf die Suche nach einer Braut für dich machen.â
âIch werde mit dir vorliebnehmen müssen, Maa. Du bist die Einzige, die ich mir von meinem Taxifahrerlohn leisten kann.â
âAls ob Taxifahrer nicht heiraten würden!â
âKomm schon, Maa, wo würden wir wohnen?â
âDein Vater und ich könnten in die Küche umziehen.â
âWer immer es ist, sie kann noch ein paar Jahre warten.â
âIch mein es ernst, Ravan. Ich finde eine hübsche Braut für dich. Nicht so eine wie ich, sondern eine nette junge Frau.â
âFischst du nach Komplimenten, Maa?â
âHör auf, ständig das Thema zu wechseln!â
âIch hab schon eine gefunden.â
Parvati-bai warf die Hände in die Höhe. âHörst du endlich mit deinen Ausweichmanövern auf? Ich sage: Es ist höchste Zeit, dass ich mir eine Schwiegertochter zulege!â
âSie ist gebildet. Sie ist hübsch â finde ich jedenfalls.â
âSchluss mit den Scherzen, Ravan!â
âUnd sie will mich nicht haben. Nie im Leben. Weder in diesem noch in sonst einem.â
Etwas in Ravans Ton verriet Parvati-bai, dass der Tenor der Unterhaltung sich verändert hatte; dass es diese Frau war, die ihrem Sohn Qualen bereitete.
âSag mir, wer sie ist. Manchmal erreichen Mütter, was Söhne nicht zustande bringen.â
Ravan lachte. âKlar,
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