Die Statisten - Roman
ihr mit diesen Worten nicht heimzahlen wollte, aber sie taten trotzdem weh. âZum Glück gibt es keine absolute Ziellinie, die wir erreichen müssten. Vielleicht reden wir noch einmal darüber, wenn du den fünfundzwanzigsten Song für Ravan und mich aufgenommen hast. Wie wäre es damit?â
Den fünfundzwanzigsten Song. Die Worte sollten Eddie bis in den Schlaf hinein verfolgen. Nach dem phänomenalen Erfolg von âHullaGullaâ war er wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Ravan und er nicht mehr aufzuhalten sein würden. Ihre Karriere befand sich auf dem steil aufsteigenden Ast, und sie würden Hunderte, wenn nicht Tausende von Songs aufnehmen, und wenigstens fünfundzwanzig davon würde Belle singen. Doch Wochen waren vergangen, und nicht ein Produzent, Regisseur oder auch nur zweiter oder dritter Regieassistent hatte sich bei Eddie und Ravan gemeldet. Wie war das möglich? Was war schiefgelaufen? Ihre Songs brachen jeden einzelnen Rekord in der Musikindustrie. Sie träumten sich das nicht bloà zusammen; âScreenâ und die übrigen Filmzeitschriften veröffentlichten die wöchentlichen Verkaufszahlen der Top-Thirty-Singles. Das ergab einfach keinen Sinn. Wie oft hatten sie in der Statistengewerkschaft den Spruch âErfolg zeugt Erfolgâ gehört? Vielleicht waren sie ja die Ausnahme, die die Regel bestätigte. Vielleicht waren sie schlicht und einfach Pechvögel. Vielleicht besaÃen sie die seltenste aller Gaben: die Fähigkeit, Ambrosia in Gift zu verwandeln.
Wochen später kehrte Ravan zu seinem Taxi und Eddie zu seinem Job als Automechaniker zurück.
Epilog
Jaate thé Japan, pahunch gaye Chiin
Du wolltest nach Japan und bist in China gelandet
Natürlich werden Sie das alles nicht glauben. Aber wen kümmert das? Die Fakten sind unwiderlegbar und auch für jedermann nachzuprüfen. Die fünfstöckigen CWD -Chawls â jawohl, alle neunundsiebzig â schossen innerhalb von nur sieben Tagen fünfdreiviertel Meilen in die Höhe. Aber das war noch das Geringste, was diese Woche an Verwerfungen zu bieten hatte. Die Gebäude standen nicht mehr auf festem Boden. Selbst die Erdgeschosse schwebten hoch oben in den Wolken. Was die Bewohner anbelangte â tja, was soll man sagen? Sie hatten sich nicht nur ihre Nasen an der Himmelskuppel platt gedrückt, nein, sie waren allesamt auf den Berg Kailash versetzt worden, die Wohnstatt der Götter.
Doch das wahre Wunder war nicht die neue physische Umgebung. Es war vielmehr, wie diese auf die Seele und den Geist der CWD -Chawl-Bewohner gewirkt hatte. In den CWD -Chawls geboren zu werden, verurteilte einen zur Vorhölle der Resignation. Was immer geschah, war vorherbestimmt. Dein GroÃvater und dein Vater waren Hilfsarbeiter und Tagelöhner gewesen. Du hattest es vielleicht ein Stückchen weitergebracht und einen festen Job am Hafen oder bei der Eisenbahn ergattert, aber letztlich lief es auf das Gleiche hinaus. Du würdest dein Leben lang ein Kuli bleiben. Und was deinen Sohn betraf â womöglich hegtest du groÃe Hoffnungen für ihn und hast ihn angespornt, mehr zustande zu bringen, aber höchstwahrscheinlich würde er den Mittelschulabschluss verbocken und, falls er Glück hatte, Liftboy, Kranführer oder Busfahrer werden. Widerstand oder Auflehnung waren zwecklos. Man konnte nichts anderes tun, als das Knie zu beugen und akzeptieren, was in den Sternen geschrieben stand.
Das war einmal. Urplötzlich konnte man dem Schicksal âleck michâ sagen. Man konnte tun, was immer man wollte. Man konnte sein eigenes Los bestimmen.
Es war, als wären die Mauern, die die Chawl-Bewohner und deren Stellung im Leben definiert hatten, schlagartig eingestürzt und all die Tabus, Hemmungen, Vorschriften und Verbote, jedes âdu kannst nichtâ und âdu darfst nichtâ und âdu sollst nichtâ und âdu wagst es nichtâ auÃer Kraft gesetzt. Die Dikshits, die Prabhus, die Mhatres, die DâSouzas, die DâMellos und alle anderen aus den CWD -Chawls waren sich vollends der Tatsache bewusst, dass nur die Superreichen sich den Luxus erlauben konnten zu träumen. Wenn man arm geboren war, dann tat man gut daran, seine Kinder schon in zartem Alter zu verkrüppeln; man brach ihnen die Beine oder blendete sie, sodass sie nicht die Dummheit begehen würden, zu hoch hinauszuwollen und Hirngespinsten
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