Die Statisten - Roman
jüngste Errungenschaft und er war mehr als willkommen. Den Vater hatte er mit seiner naiven Bemerkung über das königliche Paar bereits am allerersten Tag erobert. Daphnes Reaktion auf Eddie war verhaltener. Sie war seit ihrem neunzehnten Lebensjahr Musiklehrerin. Sie fand, Eddies Stimme hatte Potenzial. Mit entsprechender Ausbildung und viel Ãbung könnte er es vielleicht zu etwas bringen. Doch ihr Interesse an Eddie war nicht gänzlich selbstlos. Sie hatte groÃe Pläne mit ihrer Tochter. Belle sollte das werden, was ihr selbst nicht vergönnt gewesen war, weil ihr Vater sie mit einem älteren Mann verheiratet hatte. Für ihre Tochter hatten sie sich ein höheres Ziel gesteckt als irgendeinen Anglo-Inder, der die Gestade des Subkontinents ohnehin verlassen hat. Sie wollte einen reinrassigen Engländer, einen echten blaublütigen britischen Grafen oder Herzog. Daphne würde ihrer Tochter sämtliche Möglichkeiten bieten. Belle würde am Londoner Royal College of Music studieren oder am Julliard in New York. Mochte kommen, was wollte: Sie würde aus Belle einen Star machen, eine Diva.
Als Belle noch jünger war, gelang es Daphne, ihre Tochter für ihre eigenen Träume zu begeistern. Sie würde eine Judy Garland werden, eine Ginger Rogers, eine Dame Margot Fonteyn. Doch Mutter und Tochter zogen längst nicht mehr an einem Strick. Daphnes Ehrgeiz, Prahlerei und Hirngespinste verleideten Belle die ganze Sache. Als Daphne einmal ihren Freundinnen gegenüber erwähnt hatte, Belle habe ein Stipendium von der Royal School of Ballet erhalten, hatte Belle eine Grimasse geschnitten und gesagt: âKlar, von der Royal School of Ballet von Byculla.â Daphne kaufte Eintrittskarten für Filmmusicals wie âSouth Pacificâ und âOklahomaâ; Belle weigerte sich mitzukommen. Laut Daphne waren eine geregelte Lebensweise und Ãbung ein Muss für eine Künstlerin und sie bestand darauf, dass Belle um zehn schlafen ging. Belle reagierte, indem sie auf Partys ging und nicht vor drei oder vier nach Hause kam.
Dann lernte Belle Eddie kennen und schien wieder Interesse an der Musik zu finden. Daphne beschloss, ihn zu weiteren Besuchen zu ermutigen. Er sollte ein Ansporn und ein Köder sein, der den Ehrgeiz ihrer Tochter beflügeln würde. Was der Mutter trotz all ihrer Ãberzeugungsarbeit nicht gelungen war, schaffte Eddie, ohne ein Wort zu sagen oder sich dessen auch nur bewusst zu sein. Belle neigte dazu, mit nur einem Viertel ihrer Kapazität zu singen, im Glauben, es sei vornehm, mit der Stimme sparsam umzugehen und sich zurückzuhalten. Eddie dagegen hatte ein Organ, mit dem er Steine zertrümmern konnte, und er hatte auch keine Angst, es einzusetzen. Er zwang Belle, mit ihrer Stimme nicht zu knausern und loszulassen.
Daphne McIntyre lehrte Eddie Noten lesen und Klavier spielen. Das klassische Zeug interessierte ihn nicht, aber Pop-Songs durfte er auf dem Steinway erst spielen, als er die beiden Bände der Czerny-Ãbungen zu ihrer Zufriedenheit bewältigt hatte. Sie brachte ihm bei, seine Stimme zur Geltung zu bringen. Sie hielt sich für eine gute Lehrerin, aber er war ein besserer Schüler. Sie hatte eine zwiespältige Haltung ihm gegenüber. Sie wollte ihn zum Erfolg führen, aber besser als Belle durfte er nicht werden.
âHast du als Mädchen Höschen mit roten und gelben Gänseblümchen getragen, Belle?â
âWas bin ich denn jetzt? Ein Pferd?â
âGib mir eine Antwort.â Belles Eltern waren zum Eisenbahnerball gegangen, und Belle und Eddie waren zum ersten Mal seit Langem allein in der Wohnung.
Manchmal wenn Eddie und Belle abends zusammen ausgingen, machte sich Mr McIntyre einen Spaà daraus, Eddie von der Tür aus irgendeine scherzhafte Bemerkung nachzurufen. Etwa: âIch warne dich, tu meiner schönen Belle nichts an, was ich Daphne nicht antun würde!â Eddie wusste nicht recht, wie er die letzte Hälfte des Satzes deuten sollte. Doch die Erklärung folgte auf dem FuÃ. âAlles oberhalb der Gürtellinie ist gestattet, aber unter Deck ist tabu. Ich warne dich, ich hab ein Auge auf dich!â
Belle wurde dann immer rot. âAch, halt den Mund, Dad! Du bringst Eddie in Verlegenheit!â
Eddie wusste nicht, was er von den McIntyres halten sollte. Sie waren Katholiken und in mancher Hinsicht sogar noch frömmer als seine Mutter. Sie lieÃen nie
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