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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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entworfen. Sie waren wie Comic-Cowboys gekleidet. Pinkfarbene Röhrenhosen (exakt das gleiche Pink wie die Mixturen, die man vom Arzt gegen Fieber, Husten, Schnupfen und Durchfall bekam), kurze schwarze Mariachi-Jacken mit silberfarbenen Beschlägen, gelbe Hemden und schwarze dünne Westernkrawatten, genau wie Doc Holliday in „Zwei rechnen ab“. Die Manschetten ihrer Hemden blühten wie grelle gallige Sonnenblumen hervor.
    Eddie hatte darauf beharrt, als Bandleader auch Belles Kostüm entwerfen zu dürfen. Aber die ansonsten nachgiebige Belle hatte sich diesmal auf die Hinterbeine gestellt. Sie kannte ihren Körper und wusste, was ihr gut stand: ein knöchellanges, eng anliegendes schwarzes Kleid, das eine Schulter frei ließ und dadurch die ganze Schönheit ihres schlanken Porzellanhalses zur vollen Geltung brachte. Es fiel Eddie schwer, ihr diesen Moment der Selbstbehauptung zu verzeihen, doch er musste zugeben, dass sie umwerfend aussah.
    Jetzt holte Belle ihren Taschenspiegel hervor, zog den Lippenstift gekonnt über ihre Lippen, steckte ihn in die Handtasche zurück und nickte Eddie zu.
    Es entstand eine Stille. Das Brautpaar wartete draußen, würde aber erst hereinkommen, wenn Eddie das Zeichen gab und die Bandra Bombshells den Hochzeitsmarsch anstimmten. Es waren nur wenige Sekunden, doch die nutzte Eddie immer, um das Publikum einzuschätzen. Wie viele Gäste und welche Gesellschaftsschicht und wie betucht? Überwiegend jung oder alt? Wie waren sie angezogen? Katholisch oder gemischt? Altmodisch oder modern? Korrekt oder leger? Von Heimweh nach Goa geplagt oder echte Bombayer Stadtpflanzen? Die Programmauswahl, Tempo, Ton, Gefühl und Harmonie würden sich in diesen Augenblicken entscheiden. Er beherrschte sieben portugiesische Songs, fünfundzwanzig auf Konkani und jeden einzelnen Hit, der auf Radio Ceylons englischem Sender lief.
    Er hatte nichts dagegen, Interpreten aus den Fünfzigern wie Connie Francis, Tony „One-and-a-two-and-I-love-you“ Brent und Cliff Richards zu spielen, aber für Jim Reeves empfand er leidenschaftlichen Hass. Er war allerdings zu sehr Profi, um nicht zu wissen, wann es angebracht war, nachzugeben und ein paar unmelodische weinerliche Reeves-Nummern zu spielen. Er wartete zunächst ab, und waren die Gäste erst ein paar Mal im Séparée verschwunden, um sich einen Schwarzgebrannten hinter die Binde zu gießen und mit einem idiotischen Lächeln im Gesicht wieder herausgekommen, brachte er etwas Schwung in die Szenerie. Die Beatles, Jerry Lee Lewis, die Beach Boys und jede neue Gruppe, die er aufregend fand. Bei Elvis war er eher vorsichtig. Er war zwar der King of Rock-’n’-Roll, aber er war auch die Mutter schmalztriefender Schnulzen. Wenn die Party erst richtig im Gange war, würde er es mit ein paar harten Elvis-Stücken wie „Jailhouse Rock“ und „Blue Suede Shoes“ versuchen und dann abschätzen, ob er es mit den schmutzigeren Stones riskieren konnte.
    Eddie ließ den Blick über die Hochzeitsgäste gleiten, bevor er dem Brautpaar das Zeichen zum Einmarsch gab. Manchmal schlugen die sichtlich beengten Verhältnisse des frischgebackenen Ehepaars und die Schäbigkeit der Hochzeitsgesellschaft Eddie aufs Gemüt. Belle beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und erkannte sofort, dass das ein Stimmungskiller werden würde. Das durfte nicht sein. Die beiden hatten gerade geheiratet. Wenn der Anfangsrausch erst einmal abzuklingen begann – in ein paar Monaten oder, wenn sie Glück hatten, in ein, zwei Jahren –, würde es noch schwer genug werden. Aber die Bombshells waren es ihnen schuldig, wenigstens für eine unvergessliche Hochzeitsfeier zu sorgen. Noch ehe der letzte Ton des Hochzeitsmarsches verklungen war, setzte Belle schon zu Jerry Lee Lewis’ „A Whole Lotta Shakin’ Goin’ On“ an. Eddie hob es von seinem Schlagzeughocker, als habe er einen elektrischen Schlag bekommen. Was zum Teufel trieb Belle da eigentlich? Sie wusste verdammt genau, dass er der Bandleader war und er allein bestimmte, wann der nächste Song anfing. Aber Belle setzte sich einfach darüber hinweg. Nein, das war nicht ganz richtig. Er wusste, warum sie ihm ins Gehege kam. Sie erinnerte Eddie daran, dass man es, wenn man erst auf der Bühne stand, dem Publikum und vielleicht sogar noch mehr sich selbst schuldig war, absolut alles zu geben.
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