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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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die Sachen kosten, und trage hinter jedem Inventarobjekt den Preis ein. Auf die Weise kommen wir nicht in die roten Zahlen.“
    Als der Justizangestellte schließlich herauskam, war es zehn nach eins.
    â€žWas denn, immer noch da?“, fragte er Ravan.
    â€žWo sollte ich hin, solange Sie mich nicht bezahlt haben?“
    â€žDu vertraust mir nicht so weit, dass du bis morgen auf dein Geld warten kannst?“ Ravan hätte gerne zu Mr Tamhane gesagt, nein, er traue ihm kein bisschen, besann sich aber, seine Gedanken besser nicht auszusprechen. Mr Tamhane lüpfte den Saum seines Hemdes, kramte in seiner Westentasche und förderte eine winzige, mit einer Schnur zugebundene Stoffgeldbörse zutage. Er pulte den Knoten auf und zählte vier Zehn-Rupien-Scheine ab. Ravan wartete geduldig auf vier weitere, während er gleichzeitig hoffte, dass sich Mr Tamhane, da es immerhin die Hochzeit seines einzigen Kindes gewesen war, ausnahmsweise einmal nicht als knickrig erweisen und ihm darüber hinaus noch vier weitere Banknoten anbieten würde, aber Tamhane hatte sich schon von ihm abgewandt.
    â€žVierzig Rupien?“, fragte Ravan ungläubig. „Achtzig, davon haben Sie heute Morgen doch selbst gesprochen, obwohl die Abmachung eigentlich zweihundert lautete.“
    â€žWas für eine Abmachung? Haben wir einen Vertrag unterzeichnet? Hältst du mich für so blöd, nicht zu wissen, dass kein Mensch deine Band engagiert? Sei froh, dass du vierzig bekommst!“
    Wenn man in einer Hochzeitsband spielt und dazu noch in einer, die für Hindu-Hochzeiten engagiert wird, wird man schnell immun gegen Verachtung, Beleidigungen, Pöbeleien und sonstige Formen seelischer Misshandlung. Aber die Tamhanes waren eine Klasse für sich. Es war allgemein üblich, sobald die Gäste sich satt gegessen hatten, für die Musikanten zu sorgen. Aber da die Verköstigung so knapp bemessen gewesen war, dass sie selbst für den letzten Schwung Gäste nicht mehr so recht gereicht hatte, brachte Ravan das Thema, zögerlich, bei Tamhane Senior zur Sprache.
    â€žWas erwartest du von mir? Dass ich ganz Bombay durchfüttere?“, blaffte ihn der Justizangestellte an. „Wenn du so ausgehungert warst, hättest du zu Hause essen und erst dann kommen sollen. Oder dein Glück versuchen und dich mit dem ersten Schwung Gäste hinsetzen.“
    Ravan war zaghaft geblieben und hatte die Sache nicht weiterverfolgt. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten, obwohl die erste Regel für jeden Musiker lautet: Niemals, absolut niemals einem Auftraggeber gegenüber die Beherrschung verlieren, besonders dann nicht, wenn man noch nicht die volle Gage erhalten hat. „Betrüger! Dieb! Sie sind schlimmer als ein gewöhnlicher Dieb!“
    Eine junge Frau in einem Seidensari, einen neuen mangalsutra und Goldschmuck um den Hals, tauchte plötzlich auf und funkelte Ravan an. „Was haben Sie gesagt?“ Sie hatte durchsichtige graue Dämoninnenaugen, die das Licht völlig ungehindert zu durchdringen schienen. Sie waren kalt und tot. Sie war so talgfarben wie ein gerupftes Huhn, und wenn auch mager und so leicht, dass sie ein Lufthauch fortgeweht hätte, im Besitz eines Organs, das ein Megaphon beschämen konnte.
    â€žWie kannst du es wagen, meinen Schwiegervater so unflätig zu beschimpfen? Dir steht nicht ein Paisa zu! Du solltest uns bezahlen, als Entschädigung für das, was ihr uns den ganzen Tag lang zugemutet habt! Es war die reine Tortur. Wie eine Eselherde habt ihr vier geklungen! Ich werde jetzt meine Hochzeitsnacht mit rasenden Kopfschmerzen verbringen, und alles nur wegen euch. Mein Vater ist Anwalt, und ich werde ihn bitten, eine Verleumdungsklage gegen dich einzureichen. Dafür dass du meinen Schwiegervater als Betrüger und Dieb bezeichnet hast. Er ist vielleicht ein weichherziger Mensch, aber mich solltest du nicht unterschätzen! Verschwindest du freiwillig, oder soll ich die Polizei rufen?“
    Die toten Augen ließen Ravan nicht aus ihrem Bann. „Schieb ab. Augenblicklich.“
    Und dann war sie, ebenso plötzlich, wie sie erschienen war, wieder verschwunden.
    Ravan stand da, als sei er von einem eisigen Feuer versengt worden. Tamhane war ein verächtlicher Wurm, aber Ravan wusste zumindest, woran er bei ihm war. Doch was sollte er von dieser Hexe halten, dieser eiskalten Ausgeburt der Hölle? Verleumdungsklage, Polizei.

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