Die Statisten - Roman
Klarinette, Saxophon, Posaune, Trompete und Trommeln umfasste â irgendwann im 19. Jahrhundert das Licht der Welt erblickten.
Die wechselseitige Durchdringung zweier Zivilisationen und Kulturen erzeugte eine komplexe Dynamik von weitreichenden, sichtbaren und weniger sichtbaren Auswirkungen. Doch diese wurden auch von den tückischen Folgeerscheinungen, Implikationen und Verästelungen jenes zweifelhaften einheimischen Gespanns begleitet, das jeglichen Aspekt des indischen Lebens beeinflusst: religiöse Trennung und Kastensystem.
Es scheint unbegreiflich, dass sich, von allen Künsten, ausgerechnet die Musik dieses Virus einfangen sollte. Doch unter der Oberfläche brodelt es in der indischen Brass-Band-Kultur nur so von Kastenwidersprüchen. Die Musiker â egal ob Hindu oder Muslim â rekrutieren sich aus der Dalit-Gemeinschaft, also denen, die früher als âUnberührbareâ galten, wie die Lederarbeiter, Abdecker und sweepers . In Bombay werden muslimische Musiker oft verächtlich als nankhatai bandvalas tituliert, weil sie ihren Lebensunterhalt vor allem in Bäckereien verdienen, in denen diese Kekse produziert werden, die einem sofort im Mund zergehen.
Was der Absurdität die Krone aufsetzt, ist natürlich die Tatsache, dass, während schon der Schatten eines Dalits für Angehörige höherer Kasten als verunreinigend gilt, eine Hindu-Hochzeit â zweifellos eines der heiligsten und Glück verheiÃendsten Feste überhaupt â heutzutage ohne die Anwesenheit der âunberührbarenâ Mitglieder einer Blaskapelle so gut wie undenkbar ist.
Die bedeutendste Ausnahme von der Dalit-Regel für Hochzeitskapellen war die Jea Band, die Jea Lal Thadani in Hyderabad gründete, der Hauptstadt der Provinz Sind im späteren Pakistan. Zum ersten Mal kam Jea Lal, der aus einer gutbürgerlichen Kaufmannsfamilie stammte, mit der Musik in Berührung, als er auf der Schule Klarinette spielen lernte. Eine Zeit lang spielte er in anderen Bands, bis er seine eigene gründete. Er besaà den für die Sindhis typischen, ausgeprägten Geschäftssinn, und schon bald hatte sich seine Gruppe einen Namen gemacht.
Man muss die 1940 aufgenommene Photographie der Jea Band sehen, um sie in ihrer ganzen Herrlichkeit würdigen zu können. Jea Lal Thadani sitzt, vielleicht ein bisschen zu feierlich, inmitten seines achtzehnköpfigen in Phantasieuniformen und Epauletten prangenden Ensembles. Der Mann links von Jea Lal trägt kniehohe Stiefel, einen Turban, wie er sonst nur gekrönten Häuptern zusteht, und eine mit Orden übersäte Uniform. Um wen es sich bei diesem Mann handelt, lässt sich nicht mehr feststellen, aber der bebrillte Jea Lal ist nicht zu verkennen. Er trägt einen knielangen schwarzen achkan , der den Betrachter schier aus den Socken haut. Jea besitzt zwar nicht die gebieterische Masse und Leibesfülle des legendären Sängers Ustad Faiyyaz Khan, dafür aber mindestens siebenmal so viele Medaillen, wie der Ustad vorzuweisen hatte, als er sich zu seinem berühmtesten Porträt vor die Kamera hockte. Jea Lals Orden ergieÃen sich über seine ganze Brust, einer davon hängt ihm sogar zwischen den Knien. Wer verlieh Jea all diese Medaillen und Auszeichnungen? Die Armee kann es nicht gewesen sein, da er nicht gedient zu haben scheint. Fanden in der Provinz Sind seinerzeit vielleicht nationale oder zumindest regionale Brass-Band-Wettbewerbe statt? Spielte Jea auf den Hochzeiten von Rajas und Maharajas, die ihn ehrten wie sie es auch bei Faiyyaz Khan Sahab in der Sparte klassische Musik taten? Ein bisschen zu spät, um diese Frage zu beantworten, da Jea Lal schon lange tot ist. Doch eines ist sicher: Es war das Jahr 1940, Thadani war auf der Bildfläche erschienen.
Sieben Jahre später würden die hindu-muslimischen Massaker, die die Teilung des Subkontinents in Pakistan und Indien begleiteten, alles verändern. Sie zwangen Jea Lal, samt seiner Familie und einigen Bandmitgliedern, die Heimat zu verlassen und im indischen Ahmedabad ein neues Leben zu beginnen. Kurz nach Ankunft in der neuen Stadt lieà Jea Lal seine alte Gruppe neu aufleben â doch mit einer Neuerung. Vielleicht hatte ihn die Flucht aus Pakistan traumatisiert und er wollte durch den neuen Namen der Band unmissverständlich zum Ausdruck bringen, wem seine Sympathien galten. Oder vielleicht hatte er das Bedürfnis, seinen neu
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