Die Statisten - Roman
aber das Bukett wies noch ein weiteres Element auf, das alle anderen übertönte. Ravan konnte es nicht identifizieren, bis Navare ihm eine aufgedunsene Ratte vor seine Nase hielt. Ihr Fell war glitschig und zerzaust, wie das eines Eichhörnchens. Selbst im Tod hatte sie ein gefräÃig aufgerissenes Maul mit üblen, scharfen Zähnen.
âAuto.â Navare schwang das aufgeblähte Nagetier hin und her wie eine Handglocke. âDe-so-to, Chev-ro-let, Ply-mouth, Ja-gu-ar, Rolls-Royce. Nun denn, Mr Ravan Shankar-rao Pawar, ist dies Ihre Vorstellung von einer schicken Haus-zu-Haus-Beförderung? In der Tat, wir haben uns gemacht!â
âOb die Hochzeitsgesellschaft wohl ebenfalls in diesen Laster steigt?â Kanhaiyyalal konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinen billigen Senf beizusteuern.
Der Ratte war von der Hitze und dem Herumschlenkern inzwischen der Bauch aufgeplatzt. Die rosigen grapefruitartigen Innereien begannen herauszutröpfeln. Navare schlenkerte sie weiter hin und her.
âUnser Auftraggeber ist der gröÃte Dienstleister der Kommune Karjat!â Ravan riss Navare die Ratte aus der Hand und schmiss sie über die Bordwand. âDas wird eine luxuriöse Hochzeit! Ich weià es!â
âDas ist vermutlich auch der Grund, warum er uns von einem Müll-Laster abholen lässt.â
âSpar dir die Sprüche, Navare. Wann ist deine Band je für zwei Tage am Stück engagiert worden? Es geht bergauf mit uns!â
âRavan hat recht. Der Fahrer hat vorhin gesagt, das wird eine so groÃe Angelegenheit, dass sogar noch weitere Musiker auftreten, die sanai und Trommel spielen.â Jetzt, nachdem er die Nase voll Schnupftabak hatte, schien Kamble einen Gesinnungswandel durchgemacht zu haben. Er nieste in rascher, abgehackter Folge, wie die Gewehrsalve eines Heckenschützen.
Sie hatten die Stadtgrenze hinter sich gelassen. Der Laster beschleunigte, und der Gestank verflog mit dem Fahrtwind. Ravan zog die Plane herunter, die auf dem Dach der Fahrerkabine lag, breitete sie auf dem Boden aus und legte sich darauf. Die Mütze fiel ihm vom Kopf. Er war noch nie auf der Pritsche eines Lastwagens gefahren. Vielleicht war ein Auto besser; es machte mit Sicherheit mehr her, aber hier pfiff Ravan der Wind um die Ohren, und der Himmel zog über ihm hinweg. Ravan hatte noch nie so viel Himmel zu seiner Verfügung gehabt. Stimmt es wirklich, fragte er sich, dass dort, wo der Himmel ist, nichts ist, absolut nichts? War Blau die Farbe des Nichts, des leeren Raums? Plötzlich wölbten sich von beiden Seiten der StraÃe Ãste über ihn, und der Himmel war weg. Das Licht der Sonne brach in Splittern durch das Laub und besprenkelte ihn. Wie viele Blätter hat ein ausgewachsener Pipalbaum? Hatte sich jemals jemand die Mühe gemacht nachzuzählen? Es war seltsam, er konnte spüren, wie die Schatten der Blätter wie Kumuluswolken über seine Haut dahinzogen.
Das blasierte Gerede, das er für seine Mutter und seine Musiker von sich gegeben hatte, als ob es nichts sei, die Stadt zu verlassen, war nichts als Maulheldentum gewesen â aber das war zu einer anderen Zeit gewesen und in einem anderen Land. Er war verdammt nervös und aufgeregt darüber, sich an der Schwelle eines Abenteuers zu befinden. Er war der erste Mensch, der die Heimat verlieÃ, neue Grenzen überquerte, neue Welten erforschte. Wie hatte er nur all die Jahre im engen Gehege seines Zuhauses überlebt? Wenn es schon so elektrisierend war, nach Karjat zu fahren, wie würde es sich erst anfühlen, die Ozeane zu überqueren und nach England, Amerika oder China zu reisen?
Einmal hatte er einen Chinesen gesehen, als er auf dem Weg zur Schule war, keinen von denen, die sich in Indien niedergelassen hatten, wie der Zahnklempner auf der HauptstraÃe in Mazagaon, sondern einen richtigen Chinesen.
âWer ist das, der da kommt?â, hatte er einen Passanten gefragt.
âZhou Enlai, der Premierminister von Chinaâ, hatte der Mann geantwortet.
âWo ist China?â
Der Mann hatte geheimnisvoll gelächelt; vielleicht wusste er auch nicht, wo China lag. Die vorausfahrende Limousine war samt Motorradkolonne vorübergerauscht und hatte einige von Ravans Haarsträhnen aufgewirbelt.
âEs liegt da, woher der Wind kommtâ, hatte der Mann erwidert. Die Menschenmenge trat erwartungsvoll vom StraÃenrand zurück. Ein hellhäutiger
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