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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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aber das Bukett wies noch ein weiteres Element auf, das alle anderen übertönte. Ravan konnte es nicht identifizieren, bis Navare ihm eine aufgedunsene Ratte vor seine Nase hielt. Ihr Fell war glitschig und zerzaust, wie das eines Eichhörnchens. Selbst im Tod hatte sie ein gefräßig aufgerissenes Maul mit üblen, scharfen Zähnen.
    â€žAuto.“ Navare schwang das aufgeblähte Nagetier hin und her wie eine Handglocke. „De-so-to, Chev-ro-let, Ply-mouth, Ja-gu-ar, Rolls-Royce. Nun denn, Mr Ravan Shankar-rao Pawar, ist dies Ihre Vorstellung von einer schicken Haus-zu-Haus-Beförderung? In der Tat, wir haben uns gemacht!“
    â€žOb die Hochzeitsgesellschaft wohl ebenfalls in diesen Laster steigt?“ Kanhaiyyalal konnte der Versuchung nicht widerstehen, seinen billigen Senf beizusteuern.
    Der Ratte war von der Hitze und dem Herumschlenkern inzwischen der Bauch aufgeplatzt. Die rosigen grapefruitartigen Innereien begannen herauszutröpfeln. Navare schlenkerte sie weiter hin und her.
    â€žUnser Auftraggeber ist der größte Dienstleister der Kommune Karjat!“ Ravan riss Navare die Ratte aus der Hand und schmiss sie über die Bordwand. „Das wird eine luxuriöse Hochzeit! Ich weiß es!“
    â€žDas ist vermutlich auch der Grund, warum er uns von einem Müll-Laster abholen lässt.“
    â€žSpar dir die Sprüche, Navare. Wann ist deine Band je für zwei Tage am Stück engagiert worden? Es geht bergauf mit uns!“
    â€žRavan hat recht. Der Fahrer hat vorhin gesagt, das wird eine so große Angelegenheit, dass sogar noch weitere Musiker auftreten, die sanai und Trommel spielen.“ Jetzt, nachdem er die Nase voll Schnupftabak hatte, schien Kamble einen Gesinnungswandel durchgemacht zu haben. Er nieste in rascher, abgehackter Folge, wie die Gewehrsalve eines Heckenschützen.
    Sie hatten die Stadtgrenze hinter sich gelassen. Der Laster beschleunigte, und der Gestank verflog mit dem Fahrtwind. Ravan zog die Plane herunter, die auf dem Dach der Fahrerkabine lag, breitete sie auf dem Boden aus und legte sich darauf. Die Mütze fiel ihm vom Kopf. Er war noch nie auf der Pritsche eines Lastwagens gefahren. Vielleicht war ein Auto besser; es machte mit Sicherheit mehr her, aber hier pfiff Ravan der Wind um die Ohren, und der Himmel zog über ihm hinweg. Ravan hatte noch nie so viel Himmel zu seiner Verfügung gehabt. Stimmt es wirklich, fragte er sich, dass dort, wo der Himmel ist, nichts ist, absolut nichts? War Blau die Farbe des Nichts, des leeren Raums? Plötzlich wölbten sich von beiden Seiten der Straße Äste über ihn, und der Himmel war weg. Das Licht der Sonne brach in Splittern durch das Laub und besprenkelte ihn. Wie viele Blätter hat ein ausgewachsener Pipalbaum? Hatte sich jemals jemand die Mühe gemacht nachzuzählen? Es war seltsam, er konnte spüren, wie die Schatten der Blätter wie Kumuluswolken über seine Haut dahinzogen.
    Das blasierte Gerede, das er für seine Mutter und seine Musiker von sich gegeben hatte, als ob es nichts sei, die Stadt zu verlassen, war nichts als Maulheldentum gewesen – aber das war zu einer anderen Zeit gewesen und in einem anderen Land. Er war verdammt nervös und aufgeregt darüber, sich an der Schwelle eines Abenteuers zu befinden. Er war der erste Mensch, der die Heimat verließ, neue Grenzen überquerte, neue Welten erforschte. Wie hatte er nur all die Jahre im engen Gehege seines Zuhauses überlebt? Wenn es schon so elektrisierend war, nach Karjat zu fahren, wie würde es sich erst anfühlen, die Ozeane zu überqueren und nach England, Amerika oder China zu reisen?
    Einmal hatte er einen Chinesen gesehen, als er auf dem Weg zur Schule war, keinen von denen, die sich in Indien niedergelassen hatten, wie der Zahnklempner auf der Hauptstraße in Mazagaon, sondern einen richtigen Chinesen.
    â€žWer ist das, der da kommt?“, hatte er einen Passanten gefragt.
    â€žZhou Enlai, der Premierminister von China“, hatte der Mann geantwortet.
    â€žWo ist China?“
    Der Mann hatte geheimnisvoll gelächelt; vielleicht wusste er auch nicht, wo China lag. Die vorausfahrende Limousine war samt Motorradkolonne vorübergerauscht und hatte einige von Ravans Haarsträhnen aufgewirbelt.
    â€žEs liegt da, woher der Wind kommt“, hatte der Mann erwidert. Die Menschenmenge trat erwartungsvoll vom Straßenrand zurück. Ein hellhäutiger

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