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Die Statisten - Roman

Die Statisten - Roman

Titel: Die Statisten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A1 Verlag GmbH
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Mann mit schläfrigen Augen, der etwas trug, das wie eine graue Nehru-Jacke aussah, stand in einem offenen Wagen und winkte den Leuten zu. Und dann war er weg. Ravan leuchtete die Antwort ein: Nur der Wind konnte kommen und gehen, wie es ihm passte – nach Delhi, Russland, Frankreich, Amerika, wohin auch immer.
    Er beschloss, diese sagenhaften fernen Länder zu besuchen. Die einzige Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, bestand darin, dafür zu sorgen, dass seine Band dorthin eingeladen wurde. Sie mussten heute und morgen in Karjat eine absolut erstklassige Vorstellung abliefern. Der Wind würde Zhou Enlai – falls er noch immer Premierminister war – ihren Ruhm zutragen, und der große Mann würde Ravan und die Cum September bitten, auf der Hochzeit seiner Tochter zu spielen.
    â€žÃœbung macht den Meister“, war sein Leitspruch. Er war drauf und dran, Navare, Kamble und Kanhaiyyalal zur Generalprobe zusammenzurufen, doch dann entschied er sich anders. Sie hätten ihn ohnehin ignoriert. Der Laster bog von der Schnellstraße rechts ab. Sie fuhren jetzt durch ein flaches, von bewaldeten Hügeln gesäumtes Tal. Sie waren von üppigem Grün umgeben. Überall große, uralte Bäume, daran wachsende wilde Orchideen, Schling- und Kletterpflanzen. Ravan hatte noch nie so viele Bäume gesehen. Vögel riefen einander zu, und man hörte die Rinnsale und Bächlein, die über Felsen plätscherten. Die Atmosphäre strahlte eine Frische aus, als sei die Luft gerade neu erschaffen worden. Alles roch grün und satt. Schon einige Meter vom Straßenrand entfernt, verwandelten sich die Bäume in eine undurchdringliche Wand, fast wie eine Festungsmauer. Kleine Hütten und Bungalows lugten gelegentlich daraus hervor, verschwanden aber rasch wieder im Urwald.
    Ravan holte die Xylophon-Schlägel heraus und schlug gedankenverloren ein paar Töne an. Kurz darauf setzte sich Kamble zu ihm und begann einen leisen, komplexen Rhythmus auf den Trommeln. Sie mussten etwas wie eine kritische Masse erreicht haben, denn schon bald gesellten sich Navare und Kanhaiyyalal unaufgefordert zu ihnen, packten ihre Musikinstrumente aus und stimmten mit ein.
    Etwas Seltsames war im Gange. Der Sound der Band und ihr musikalisches Gespür hatten sich verändert. Sie zogen nicht jeder in eine andere Richtung, sondern hörten einander zu und gingen aufeinander ein. Es war für Ravan wie eine Offenbarung, dass die Umgebung, der Wald, die Natur, Timbre und Qualität ihres Zusammenspiels verändern konnte. Die anderen mussten das ebenfalls gespürt haben. Sie spielten kein bestimmtes Stück, sondern reagierten nur auf die neuen Bilder und Gerüche, auf die Hügel, die Palmen, die strahlenden, strotzenden Bananenstauden und den Fluss, den sie gerade überquert hatten, auf die Schwärme von Vögeln, die Diagonalen über den Himmel zogen.
    Es war ein Erlebnis, das Ravan nie vergessen würde. Was er in all diesen Jahren nicht geschafft hatte, war dieser Straße zu einem unbekannten Ort mühelos gelungen. Sie hatte die vier zu einer Gruppe zusammengeschweißt und ihnen einen erkennbaren, charakteristischen Sound gegeben. Sie hörten einander zu, hielten sich zurück, ließen jeder dem anderen seinen Freiraum, um sich ihm im entscheidenden Augenblick anzuschließen. Sie führten regelrecht eine musikalische Unterhaltung. Die verschiedenen Stimmen schlängelten und flochten sich umeinander, und was sie da woben, war ein schillerndes, schimmerndes Geflecht aus Harmonie und Melodie, das seinen nächsten Schritt nicht wusste, aber mit sicherem Gespür seine Erforschung des Unbekannten fortsetzte. Irgendwo tief in ihrem Inneren erahnten sie instinktiv die vollkommene Struktur und ihre Schönheit.
    Die Cum September war schon eine Sensation, lange bevor sie den Festplatz erreichte. Eine Band mit englischem Namen, die den langen Weg aus Bombay angereist kam, war in der kleinen Stadt zwangsläufig ein größeres Ereignis. Aber eine Band, die in einem fahrenden Laster musizierte, war etwas gänzlich Unerhörtes. Kinder, Jungen und Mädchen, selbst ausgewachsene Männer liefen dem Lastwagen hinterher, bis er neben dem bunten shamiyana vor einem alten Herrenhaus hielt. Der Fahrer hakte die Ketten los, die die Heckklappe des Fahrzeugs sicherten. Menschen kamen aus dem Haus und dem zirkusartigen Zelt. Sie verstärkten den Dreiviertelkreis,

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